Kategorie-Archiv: Dabei Geblieben

In Bremen regt sich was…

Kürzlich erreichte mich eine Anfrage zu einer weiteren Lesung in Bremen. Nichts Ungewöhnliches erst einmal, habe ich doch schon zwei Mal in Hamburg und Köln, und in Berlin drei Mal gelesen. Warum also nicht auch in Bremen.

Der Hintergrund der Bremer Anfrage ist jedoch spannend. Zum ersten Mal sind es Leute, die die Szene verlassen, ihren Aktivismus eingestellt haben – sozusagen »Aussteiger_innen«, die mich einladen wollen. Das Buch hat wohl einiges an Gedanken angestoßen und der Wunsch nach Reflexion der eigenen aktivistischen Vergangenheit wurde angeregt. Es tut sich was. Leute, die seit »damals« nichts mehr miteinander zutun hatten, zum Teil im Streit auseinandergegangen sind, setzen sich zusammen, um über das Buch und ihre Geschichte zu reden. Ich finde das sehr aufregend. Sollte es zu einer Lesung kommen, ergibt sich so zum ersten Mal die Gelegenheit, mit und nicht nur über »Aussteiger_innen« zu reden, und all die Mutmaßungen darüber, warum manche aufhören, mit reell Gelebtem zu konfrontieren. Auch: sich mit Widersprüchen im eigenen Aktivismus auseinanderzusetzen – welche Sehnsucht mancher alternder Aktivist_innen haben sich denn die Aussteiger_innen erlaubt zu erfüllen? Und andersherum: welche Wünsche und Hoffnungen haben die Ausgestiegenen aufgegeben, transformiert, verdrängt? Und vieles mehr…

Ich bin gespannt, was das geben wird, und freue mich auf eine lebendige Diskussion in Bremen im Herbst: hoffentlich!

Stay tuned for further information.

Nach 20 Lesungen – ein Zwischenfazit

Bald ist es ein Jahr her, dass das Buch erschienen ist, und ich habe seit gestern die zwanzigste Lesung hinter mir. Und, ich muss sagen, mit gemischten Gefühlen. Einerseits freue ich mich nach wie vor über das rege Interesse an meinem Buch und bin dankbar für die Mühen, die die Veranstalter_innen auf sich nehmen, um mich einzuladen. Gleichzeitig beobachte ich jedoch ein merkwürdiges Phänomen, das mich ratlos zurücklässt.

Die Lesungen sind immer gut besucht, oft platzt der Raum aus allen Nähten, das Buch verkauft sich gut, Zeitungen und Radiosender interessieren sich dafür und das Thema bewegt die Leute – sogar solche, die selber nie linke Aktivist_innen waren oder nicht einmal etwas mit der Linken zu tun haben. Es hat also einen Nerv getroffen und spricht ein wichtiges Thema an – das kann ich, denke ich, konstatieren.

Doch dann sitze ich oft vor einem Publikum, das mich mit großen Augen ansieht und: nichts sagt. Nichts fragt. Schweigt.

Nun könnte man sagen, wenn es um die siebzehnte Ableitung der Werttheorie des Geldes bei Marx in der Interpretation von Sohn-Rethel geht: ok, ist ein Expert_innenthema, schwierig, da können viele auch nichts dazu sagen. Es geht aber um das Leben der Leute. Um ihre ureigensten Fragen: warum bleibe ich dabei? Wie geht es für mich weiter? Was frustriert mich, was motiviert micht? Welche Bedürfnisse habe ich, wie hat sich mein Verhältnis zum Widerstand über die Jahre verändert? Wie haben es die anderen gemacht? Was habe ich für ein Verhältnis zu Älteren/Jüngeren in meinem politischen Umfeld? Etc. Fragestellungen, zu denen wirklich jede_r einzelne etwas beizutragen hat. Oft jedoch: Stille. Dann: zögerliche Fragen, Allgemeinplätze, oberflächliches Herantasten. Manchmal wahnsinnig zäh. Einmal haben wir sogar eine Pause gemacht, weil einfach wirklich niemand etwas sagen wollte. Auch nach der Pause nicht. Als schließlich zwei ältere Männer, offensichtlich Kader und gewohnt zu sprechen, in die Bresche sprangen und sich immerhin zwischen uns ein, wenn auch wenig tiefgehender, Trialog entsponn, kam die Klage, es würden ja immer die gleichen reden. Dominantes Redeverhalten. Da ist mir der Kragen geplatzt: die Redeliste war immer leer, dass die einen redeten, war dem Schweigen der anderen geschuldet. Es hätte ja sonst einfach niemand gesprochen.

Nun mag man einwenden: der Lesetext ist sehr dicht, das kann auch überrumpeln, vielleicht sind es einfach zu viele Gedanken, die im Kopf rumschwirren, so dass erst einmal Ordnung einkehren muss, bevor man was sagen kann. Ja, das mag sein. Dann liegt es an den Einladenden, die Diskussion in Gang zu bringen. Was aber ist von Veranstalter_innen zu halten, die manches Mal noch nicht einmal selber das Buch gelesen haben, die selbst keine Fragen und Anmerkungen haben, weder vorbereitet noch spontan?  Manchmal komme ich mir vor, wie eine gebuchte Entertainerin. Konsumieren einer Lesung und fertig. Wieder einen Abend gefüllt, einen Programmpunkt abgehakt. Bin ich ungerecht, wenn ich das unpolitisch nenne?
Dort, wo sich die Veranstalter_innen Gedanken machen, wo sie selber eine Frage haben, wo sie sich mit dem auseinandersetzen, was sie an diesem Thema bewegt, kurz: wo sie sich politisch und persönlich zum Buch und zum Thema des Buches ins Verhältnis setzen und darüber sprechen, dort ist es (meistens) anders. Die ein oder andere lebendige Diskussion habe ich durchaus erlebt.

Es geht mir nicht darum, meine persönliche Befindlichkeit breit zu treten, die Enttäuschung über zähe Diskussionen und manglenden Austausch. Ich halte dieses Phänomen für einen Ausdruck politischer Substanz- und Orientierungslosigkeit, der die Linke ergriffen hat. Möglicherweise wissen viele von sich selber gar nicht, warum sie eigentlich »dabei« sind, was sie wollen. Oder es gibt eine Angst, manchen Fragen auf den Grund zu gehen. Oder vor Anderen über die eigenen Motive zu sprechen. Sich auf etwas einzulassen, sich verunsichern zu lassen von einer sehr persönlichen Frage. Oder ist es Angst durch die um sich greifende Praxis der Redeverbote und Sprachpolizei, Angst etwas »Falsches« zu sagen?

Ich vermute, es sind oft die von einigen Interviewten beklagten Punkte: habe ich noch eine Frage an den Anderen? Habe ich noch eine Frage an mein Leben? Ist in mir Neugier auf etwas? Echtes Interesse, nicht bloß Konsum? Will ich noch was? Lass ich mich auch nochmal verunsichern, oder ist schon »alles klar«? Habe ich eine Haltung? Wie gehe ich mit Widersprüche um, wie lebe ich Konflikte?
Ich wäre ja mitunter einfach nur froh, wenn mir mal jemand widersprechen würde, weil das bedeutet, dass etwas dahintersteckt. Widerspruch und Kritik geht ja nur, wenn ich einen Standort habe, von dem aus ich eine Sache betrachte. Also einen eigenen Blickwinkel (entwickelt) habe. Dort, wo Widerspruch kommt, wird die Diskussion meist sehr lebendig. Und ich kann nur allen Mut machen: bei mir gibt es keine Sprechverbote und keine falschen Aussagen. Wenn es konflikthaft wird, dann schauen wir uns das eben gemeinsam genauer an. Mich interessiert, warum die Leute da sind, und was sie von der Veranstaltung wollen.

Ich bin wirklich irritiert. Als ich selbst im Rahmen meines Engagements im Naturfreundehaus Kalk zahlreiche Vorträge und Lesungen organisiert habe, wussten wir immer, warum wir jemanden einladen, was unser Interesse, unsere Frage, unsere Haltung ist. Wir wollten darüber eine Auseinandersetzung, darauf haben wir uns gefreut!
Das eine ist dann die Veranstaltung. Manchmal ist das Publikum gut dabei, manchmal nicht, aber man hat ja glücklicherweise das beste am Schluss: mit den Referent_innen, der Gruppe und ein paar Buddies nach der Veranstaltung noch in die Kneipe. Die besten Diskussionen mit den interessantesten Leuten, manchmal bis spät in die Nacht. Niemals wollte ich das missen. Schade war es immer, wenn die Referent_innen keine Zeit dafür hatten. Manches Mal sind andere extra nachgekommen. Oder ich bin nach der Arbeit noch hin, wenn andere was organisiert hatten und ich den offiziellen Teil nicht besuchen konnte.
Ich dachte, das machen alle so. Ich erlebe es aber sehr selten. Das soll keine Klage sein, auch wenn es natürlich irgendwie schade ist. Es geht mir auch nicht darum, dass sich nun Leute verpflichtet fühlen, mit mir trinken zu gehen. Das wäre ganz schräg. Interesse kann nur authentisch sein oder es ist nicht. Es geht mir nicht um die Form, sondern um die Frage, was sich darin ausdrückt. Ich will das phänomenologisch festhalten und fragen: was ist da los? Wirke ich so unkommunikativ oder fehlt es an Substanz im Verhältnis zur Fragestellung? Mangelt es an Neugier oder überfordere ich die Leute?

Ganz ehrlich, ich weiß nicht, was da los ist. Vielleicht habt ihr ja eine Idee?

Dabei Geblieben beim Sommerforum der InSeL

vom 22. bis zum 28. Juli organisiert die Insel für Selbstbestimmtes Lernen (InSeL) ihr 4. Sommerforum. Das Oberthema lautet in etwa „Wie organisieren wir uns unser selbstbestimmtes Leben?“

Ort:  im Tagungshaus Wernsdorf bei Berlin

Die Lesung wird am 24. nachmittags stattfinden.

Dabei Geblieben auf dem Nexusfest in Braunschweig

Sommerfest im Nexus, beginnt gegen 17h. Lesung dann um 19h. Vollständiges Programm demnächst unter dem Link.

Die nächsten zwei Lesungen: Offenburg und Freiburg

mit schönem Plakat:

https://linksunten.indymedia.org/image/178910.jpg

Rezension im »Neuen Deutschland«

Peter Nowak hat »Dabei Geblieben« für das »Neue Deutschland« rezensiert. Finden könnt ihr das hier oder hier.

 

Heute in der TAZ

Interview mit mir zu den heute und morgen stattfindenden Lesungen in Berlin (siehe Termine)

20160329_102646-1

Aus dem Berlinteil.

Ist Widerstand möglich?

Als Nacklapp auf die Lesung in Hannover erreichte mich eine Nachricht, in der sich die Autorin fragt, warum so wenig Leute sich für die Veränderung der Gesellschaft einsetzen wollen:

» Immer wieder lag die Frage im Raum, wieso die Jungen sich nicht auch zum Aktivismus motivieren lassen, bzw. wieso eine Veränderung der Verhältnisse ausbleibt. Und immer wieder ging mir folgender Zeitungsartikel durch den Kopf, dessen Inhalt ich an dem Abend jedoch nicht so präsent hatte, dass ich mich zu Wort melden und davon hätte berichten können. Darum also als Nachreiche auf diesem weg! http://www.sueddeutsche.de/politik/neoliberales-herrschaftssystem-warum-heute-keine-revolution-moeglich-ist-1.2110256 «

Der Philosoph Byung-Chul Han vertritt in dem verlinkten Artikel die These, dass der neoliberale Kapitalismus so total ist, dass er jeglichen Widerstand verschlingt. Die Macht würde unsichtbar, so dass unklar ist, gegen wen oder was man überhaupt Widerstand leisten solle, daher richteten die Leute ihre Wut gegen sich selbst: Burnout, Depression, Suizid. Gleichzeitig würden durch Entwicklungen wie »Sharing Economy«, wie sie Thomas Piketty in der »Null Grenzkosten Gesellschaft« beschreibt, zu einem Ausverkauf des Kommunismus. Ein jegliches »Anderes« wird also unvorstellbar und unerreichbar.

Ich habe bereits an anderer Stelle beschrieben, dass dies Tendenzen sind, mit denen sich viele Denker_innen befassen: es geht um den Verlust der Zukunft. In seinem Aufsatz »Despair fatigue« entgegnet David Graeber, dass sich diese Tendenz zur Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung bei den jungen Leuten in Großbritannien möglicherweise gerade umkehrt. Und in »Bürokratie« erinnert er daran, dass die Macht so unsichtbar nicht ist: in dem  Moment, wo man eine Regel überschreitet, kommt der Mann mit dem Knüppel – die Androhung physischer Gewalt ist also sehr präsent, man spürt sie nur solange nicht, wie man sich konform verhält. Und Leute wie Hans-Christian Dany haben sich in den letzten Jahren Gedanken darüber gemacht, wie Widerstand unter den gegenwärtigen Bedinungen aussehen kann bzw. wo überhaupt Zukunft oder Perspektive herkommen könnten.

Insofern möchte ich Byung-Chul Han entgegnen: Die These ist nicht neu, und andere haben sie schon weiter gedacht. Antonio Negir, gegen den er argumentiert, ist selbst nicht gerade der aktuellste Theoretiker. Also: bitte den eigenen Standpunkt updaten.

Rezension in der »Graswurzelrevolution«

In der Märzausgabe haben die Genoss_innen eine längere und etwas ambivalente Rezension veröffentlicht.

Rezension GraWo

(auch hier zu finden)

Die Autorin wirft mir darin vor, meine eigene Resignation zu bearbeiten. Das ist irgendwie witzig. In der Einleitung beschreibe ich, dass es ein Gefühl der Krise ist, aus dem heraus das Buch entstand. Ja genau, ich habe Antworten auf meinen Frust gesucht. That’s the point! Was wäre daran verwerflich? Und obendrein, schreibt sie, hätte ich dann auch noch die „falschen“ Antworten gefunden. Das lässt sich diskutieren.

Es stimmt: die Fragestellung war, wie das mit dem „Dabeibleiben“ geht. Aber meine Frage heute lautet: dabei – bei was eigentlich? Meine Auseinandersetzung mit dem Thema führte mich eben zu einer Kritik der gängigen Haltungen und Erklärungsmuster in der Linken, und ich kann das vor dem Hintergrund meines Zieles begründen. Ich will die Gesellschaft verändern, und zwar ernsthaft. Dabei erscheinen mir weder fortgesetzte Rebellion noch das sture Festhalten an althergebrachten Weisheiten noch der Einschluss in die Subkultur und die linke Nische noch die Abgrenzung zwischen Aktivist_innen der Szene und anderen Leuten als zielführend. Das mag einer nicht passen, aber es müsste schon eine Begründung her, wie all das, was die Autorin vermisst und gerne gehabt hätte, hilfreich ist im Bezug auf die Perspektive der Stärkung emanzipatorischer gesellschaftlicher Veränderung auf einer breiten Basis. Da habe ich nämlich so meine Zweifel. (Dass das „Weiter so!“ nicht funktioniert, belegt ja die Schwäche der Bewegung.)

Sie bedauert außerdem, dass ich mich von den Erfahrungen und Durchhalteparolen der Genoss_innen nicht mitreißen lasse. Das kann sie bedauern, ich aber nicht anders fühlen als ich fühle. Wo eine Perspektive herkommen könnte, müsste Gegenstand einer Debatte sein (die zumindest in Teilen der internationalen intellektuellen Linken auch geführt wird), man kann aber schlechterdings Leuten vorwerfen, dass sie eine dünnere Haut haben und deswegen leichter verzweifeln, oder dass sie weiterführende Fragen haben und von den gängigen Antworten nicht befriedigt werden. Zum Beispiel von der Antwort, man mache weiter, weil sich ja nichts geändert habe. Das kann man sich selber so erzählen, es ist aber gar keine Begründung, weil es nicht erklärt, warum andere dann aufhören. Man müsste allen, die (vermeintlich) „aussteigen“, ja unterstellen, der Zustand der Welt mache ihnen nichts mehr aus. Das halte ich für arrogant, und es stimmt auch nicht.

Insofern bleibt bei mir der Eindruck, die Rezensentin habe mich entweder nicht verstanden oder sie halte sich die unangenehmen Fragen vom Leib, die damit verbunden wären, sich auf meine Perspektive einzulassen.

Nachtrag aus ROW

Eine nette Runde am Kamin, mit Leuten, die in dieser Kleinstadt – eingeklemmt zwischen Fracking und Bundeswehr – einen gar nicht mehr so kleinen alternativen Kulturverein betreiben. Die Lesung stand im Schatten des Todes eines ihrer Genossen – ein Anlass für mich, hier ein, wie ich finde, immer noch richtiges Thesenpapier zu verlinken, das ich vor Jahren mal mit der Gruppe „Somost“ geschrieben hatte: 16 Thesen zum Scheitern der Linken am Tod. Leseempfehlung!

In Erinnerung geblieben ist mir außerdem die Bestätigung eines älteren Genossen, dass man zum „Dabeibleiben“ ziemlich viele Haare auf den Zähnen braucht; und die Bemerkung eines anderen, dagegen zu sein brenne aus, man brauche etwas, an dem man im positiven Sinne baut, wo man kreativ-produktiv ist und dessen Ergebnisse man auch sehen kann.