Reflexionen

Neulich stieß ich auf jemanden, der mich in seinen Publikationen und Vorträgen ziemlich kritisiert. Diese Person ist damit sicherlich nicht alleine, es ist ja normal und erwartbar, dass Leute etwas auszusetzen haben, wenn man wie ich in so einem halböffentlichen Raum agiert, noch dazu zu einem so sensiblen Thema wie Gewalt und schwerzhafte Konflikte. Ich muss sagen, dass ich kein Internetjunkie bin und mich auch nicht für irgendwelche Szenebattles interessiere. Ich suche also nicht danach, herauszufinden, wer jetzt gerade wo über mich lästert. Eigentlich hoffe ich, dass Leute, die Zweifel haben an meiner Arbeit, zunächst den Dialog suchen. Dem ist nicht so. Es hat sich noch nie jemand gemeldet, um zu kritisieren oder seine Interpretation meines Standpunktes abzugleichen. Ich finde das wirklich schade und auch null verwunderlich.

Es wundert mich nicht, weil es leider zur Kultur in der „Szene“ gehört, weniger umeinander zu ringen und sich miteinander auseinander-zu-setzen und sich mehr im Internet, In Publikationen oder auf Veranstaltungen zu battlen, um zu zeigen, wer geiler ist, wer den längsten hat, wer es noch besser weiß als alle anderen. Ich bin davon wahrscheinlich auch nicht frei, obwohl ich es immer mehr genieße, in Zusammenhängen unterwegs zu sein, wo das viel weniger kultiviert wird. Es wundert mich also nicht, auf Grund der Konfliktkultur der Szene.

Und es wundert mich nicht, weil ich den EIndruck habe, einschüchternd zu wirken, auch wenn ich das gar nicht will. Ich habe mir wohl eine recht starke Sprechposition erarbeitet, um mich (gegen laute Männer) durchzusetzen, und das steht mir jetzt im Weg, um Leuten Mut zu machen, sich mit ihrer Kritik, ihren Zweifeln oder ihrem Unbehagen an mich zu wenden. Und oft bin ich auch wirklich sauer, zum Beispiel wenn eine bundesweite Organisation wie die IL nach etlichen Plenums-schlaufen und trotz massiver Kritik und Zweifeln ein Outing vornimmt, dessen Basis sich bald als frei erfunden herausstellt und sich diese Organisation dann noch nicht einmal zu ihren Fehlern bekennt und den Dialog mit den Geschädigten sucht. Für mich ist es schon was anderes, ob eine Einzelperson oder eine Organisation etwas vergeigt, und dann nehme ich auch kein Blatt mehr vor den Mund. Wobei man natürlich sagen könnte, dass auch hier ein empathischerer Ton angebrachter wäre. Ich wünschte, das würde mir leichter fallen.

Was mich aber tatsächlich immer wieder umtreibt, ist die Frage, ob ich Betroffenen gerecht werde, ich fühle mich manchmal so, als wäre ich durch den Kontakt mit Tatverantwortlichen „kontaminiert“. Schließlich wird mir auch vorgehalten, ich würde von Betroffenen Verständnis für ihre Täter:innen verlangen, und ich würde Tatverantwortliche zu sanft anfassen. Ich habe mich das die letzten Tage viel gefragt, ob das so ist. Und warum ich und die Leute, die mich kritisieren, das so anders sehen. Ich kann ja nicht ausschließen, dass ich einen blinden Fleck habe.

Bis jetzt sehe ich zumindest, dass ich andere Grundannahmen habe. Während es in linken und feministischen Theorien von Täter:innenschaft sehr viel darum geht, dass Menschen etwas tun, um zu dominieren, Macht zu haben und Herrschaft auszuüben, sehe ich zumindest im interpersonellen Raum (ich habe durchaus eine Herrschaftskritik!) viele andere Motive am Werk.

Gemäß der Analysen der Gewaltfreien Kommunikation und der Transaktionsanalyse (unter anderen) gehe ich davon aus, dass Menschen handeln, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen, d.h. es geht ihnen um sich selbst. Dabei können sie aus verschiedenen Gründen (die wiederum nicht notwendigerweise im Individuum verankert sind – Bourdieu weist auf die Strukturen und die Situationen hin, die Handlungen hervorbringen, und das war auch in der Antipsychatriebewegung eine wichtige Erfahrung) ungünstige, tragische, gewaltvolle etc Strategien wählen, welche dann andere verletzen. Das bedeutet, dass die Verletzung des Anderen nicht ihr Ziel ist, sondern die Erfüllung ihres Bedürfnisses. Der (oder die) andere kommt dabei nicht vor, sondern ist nur Vehikel. Das ist schlimm genug, bedeutet aber in der Konsequenz etwas ganz anderes, als wenn ich davon ausgehe, dass die Person das Schädigen anderer als Ziel im Kopf hat. Ich weiß nicht, ob das verständlich ist, aber es macht einen riesigen Unterschied, ob ich dich schädige, um an mein Ziel zu gelangen, oder ob ich dich schädige, weil ich dich schädigen will, als Zweck an sich. (Solche Menschen mag es geben, sie sind aber sehr rar). Für die geschädigte Person macht das erstmal nicht so einen großen Unterschied, sie ist so oder so verletzt. In der Aufarbeitung kann das aber durchaus eine Rolle spielen, ob es um MICH ging oder um die Wunscherfüllung des anderen.

Für die Reflexion mit den Tatverantwortlichen macht das einen rieisigen Unterschied, weil es nicht darum geht, herauszufinden, warum sie denn so gerne andere schädigen/dominieren/beherrschen, sondern welche Bedürfnisse sie sich erfüllen wollen und ob es da nicht andere Strategien gibt und was es mit ihrer Sozialisierung und Herrschaftsverhältnissen zu tun hat, dass sie die (dominierende, gewaltvolle) Strategie gewählt haben, die sie gewählt haben. Der Zugang ist so herum, nach meiner Erfahrung, einfacher, weil man sich auch erstmal selbst Empathie geben kann dafür, dass man ein berechtigtes Ziel hatte (Bedürfniserfüllung), dieses aber auf eine denkbar doofe Weise versucht hat zu erreichen. Und das kann man dann betrauern. Und erst wenn dieser Prozess durch ist, ist Raum da für Empathie mit der Person, die geschädigt wurde. Kann man doof finde, ist aber halt so.

Ich finde diese Herangehensweise treffend und sie hält einem Realitätsabgleich in meiner Erfahrung stand. Ich frage mich jetzt, wie das zusammenpasst mit der Idee, dass einer sexualisierten, sexistischen oder sexuellen Gewalttat verantwortliche Männer Gewalt ausüben, um zu dominieren, um zu beherrschen, um die andere Person unten zu halten. Ich würde sagen: es handelt sich um extrem tragische Stratien zu Erfüllung der Bedürfnisse Geltung, Wertschätzung, Einfluss, Liebe, Bestätigung etc pp. Aber eigentlich geht es nicht um die andere Person, sondern um das Füllen ihres eigenen großen schwarzen Lochs. Dieses Loch ist anerzogen, ist Teil von patriarchaler Männlichkeit, und es ist ihre Aufgabe, das zu verstehen und zu verändern. Nach allem, was ich weiß, geht das nur, indem man lernt, sich selbst zu lieben und zu wertschätzen. Das wiederum erscheint mir maximal verbaut durch das Patriarchat, und ideologische Vorwürfe oder Statements wie „Feminismus muss weh tun“ finde ich hier nicht hilfreich. Im Gegenteil, diese Herangehensweise erscheint mir eher wie eine Art Selbst-geißelung, als dass es Menschen ermutigt, zu sich zu finden, sich selbst besser zu spüren und respektvolle Wege des Miteinanders zu finden, eingedenk der eigenen Position im vergeschlechtlichten Herrschaftssystem. (Das heißt jetzt wieder nicht, dass Betroffene nicht ihre Wut ausdrücken dürfen, auch wenn das für die tatverantwortliche Person schhwer auszuhalten ist. Das gehört vielmehr dazu. Mir geht es um die bereits durch politische Analyse abstrahierte Position von politischen Akteur:innen oder der Community/Szene )

Neulich meinte ein weiß-europäischer cis-männlicher Freund zu mir, er sehe perspektivisch nur Selbstmord als Weg, denn er würde ja allen anderen bei ihrer Befreiung im Weg stehen. Ich halte das für einen katastrophalen Schluss aus dieser Art, die Sache anzugehen: wenn die Befreiung der einen nur durch die (Selbst-)Vernichtung der anderen möglich ist, geht etwas sehr gründlich daneben. Und ich merke auch, dass mich seine Unterwürfigkeit im Umgang ziemlich nervt. Es ist ja nett, nachzufragen und sensibel zu sein, aber man kann es auch übertreiben. Ich habe da nicht mehr den Eindruck, eines Gegenüber, sondern eines „Unter“, und das interessiert mich überhaupt nicht. Andererseits kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es verlockend ist, das Dominierungsangebot, das er macht, anzunehmen. Ich fühle mich aber sehr unwohl damit. Was aber, wenn ich eine kleinere, schüchternere oder zurückhaltendere Person wäre? Wäre das dann wohltuend für mich? Würde ich mich dann endlich auf Augenhöhe fühlen? Wäre ich dann in der Lage, meine Grenzen besser zu kommunizieren?

Vielleicht verstehe ich auch etwas nicht in dieser „Dominanz-als-Motiv“ Analyse und es entgeht mir ein ganz entscheidender Teil. In den Auseinandersetzungen, die ich diesbezüglich bisher hatte, hat mich nichts überzeugt. Was nicht heißt, dass es da nicht doch etwas gibt, das ich nicht verstanden habe.

Das andere ist die Frage der Betroffenen. Ich nehme sie ernst. Ich nehme sie beim Wort. Ich respektiere ihre Grenzen (ich versuche es, neulich ist mir da ein blöder Fehler passiert, ich hab die Message nicht gecheckt, autsch) und mute und traue ihnen Selbstbestimmung zu, weil ich überzeugt davon bin, dass sie am allerbesten wissen, was sie wollen und brauchen. Das scheint oft aber verwirrend zu sein, weil es nicht vorgegebenen ideologischen Mustern folgt. Es kommt mir dann so vor, als sei ich nicht solidarisch oder empathisch genug. Wenn mir vorgehalten wird, ich würde von Betroffenen „Verständnis für ihre Täter:innen“ verlangen, hört sich das total falsch und schlimm an, und so verstanden ist es das auch. Es wäre übergriffig und reviktimisierend. Ich vertrete das auch nicht.

Ich glaube, es gibt da ein Missverständnis. Denn was ich tue, ist, darauf hinzuweisen, dass bestimmte Strategien, die im Namen eines „Opferschutz“ eingesetzt werden, nicht zielführend sind. Zum Beispiel erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man nur bekommt, was man braucht, wenn man es sagt . Wenn jemand will, dass eine Person „Verantwortung übernimmt“, aber nicht sagt, was er_sie darunter versteht, weiß die beschuldigte Person nicht, was sie machen soll. Sie kann dann ihre Idee dessen, was Verantwortungsübernahme heißt, ins Werk setzen – das deckt sich aber nicht notwendigerweise mit den Vorstellungen der Betroffenen. Das gleiche gilt für die Tatvorwürfe. Wenn ich der beschuldigten Person nicht die Chance gebe, zu begreifen, worum es geht, stehe ich einem sinnvollen Auseinandersetzungsprozess mehr im Weg als dass ich ihn ermögliche. Kann man machen, man muss sich dann aber ehrlicherweise eingestehen, dass es einem gar nicht darum geht, dass die beschuldigte Person Aufarbeitung leistet.

Das andere ist, dass es für Betroffene und Umfeld hilfreich ist, zu verstehen, dass Auseinandersetzung und Verantwortungsübernahme Zeit brauchen, und dass die Aufarbeitungsprozesse auf beiden Seiten (Heilung einerseits und Rechenschaft andererseits) oft ungleichzeitig ablaufen. Das kann Frust hervorrufen. Das bedeutet nicht, dass Betroffene „Verständnis haben“ müssen, sondern schlicht, dass es hilft, zu verstehen, wie solche psychologischen Prozesse ablaufen, um selber besser damit umgehen zu können. Wenn ich nicht die ganze Zeit in einer falschen Erwartungshaltung sitze, geht es mir definitiv besser, weil ich weniger frustriert bin. Verstehen und Verständnis-haben sind vom Sinn her nicht das gleiche. Und wenn es schließlich irgendwann einmal darum geht, eine Person zu resozialisieren, wäre es wirklich fatal, nicht die Betroffenen zu fragen, ob, wie und unter welche Vorraussetzungen das geschehen kann. Auch da geht es wieder nicht um Verständnis oder so, sondern darum, dass Betroffene diesen Prozess gestalten können, sofern sie das wünschen. Es geht darum, ihnen Deutungshoheit und Macht zu geben. Wenn sie sich nicht äußern oder nicht dazu beitragen möchten, kann die andere Seite und die Community nur versuchen, eigene Ideen umzusetzen, und ggf. immer wieder nachfragen, wie jemand das sieht. Betroffene ernst nehmen heißt für mich aber auch, ihnen zu sagen, wenn ich etwas problematisch finde. Das ist Augenhöhe. Es nicht zu tun, wäre paternalistisch.

Andersherum ist das übrigens genauso. Opferwerdung folgt bestimmten Abläufen und Tatverantwortliche, die Reue ausdrücken, Verantwortung übernehmen, um Verzeihung bitten, Wiedergutmachung anbieten oder auch nur Rücksicht nehmen und Fragen stellen wollen, sind ebenfalls gut beraten, zu verstehen, warum jemand gerade nicht in der Lage ist, darauf einzugehen, dass das vielleicht niemals passieren wird, dass das deren gutes Recht ist und dass sie ihren eigenen Weg finden müssen. Das verhindert Frust, der das Weiterkommen blockiert. Dass ihre Tat und die Konsequenzen daraus ihr Leben vielleicht auf immer verändern wird, und sie das betrauern und akzeptieren müssen, so wie es das Leben der anderen Person auf immer verändert hat.

So oft habe ich festgestellt, dass das Verstehen von Hintergründen entlastet, auf allen Seiten. Dann kann Weichheit und (Selbst-)Empathie entstehen. Und das braucht es für alles weitere. Ich verstehe mich, glaube ich, eigentlich vor Allem als jemand, die diesen Prozess versucht in Gang zu bringen. Ich verstehe mich nicht als jemand, die Mitglieder für den Club der besseren Menschen ausbildet, sarkastisch gesagt, und ich suche nicht den kurzfristigen Erfolg. Für mich ist die Aufarbeitung schmerzhafter, gewaltvoller Geschehnisse etwas, das ein Leben lang dauern kann und wo man in einer Auseinandersetzungsspirale zyklisch immer wieder an die selben Punkte kommt (wo man immer in der gleichen Kurve kotzt, wie meine Therapeutin sagte), jedoch stets von einer neuen Warte aus. Da sagt man nicht nach 5 Monaten oder 3 Jahren: so, fertig, ist gut geworden oder ist gescheitert. Es ist auch etwas, das gar nicht von der gesamtgesellschaftlichen Situation und gesellschaftlicher Entwicklung getrennt werden kann. Sprich: das Patriarchat kann man nicht im Alleingang überwinden, leider. Das ist wahnsinnig frustrierend und enttäuschend, weil wir unter dieser ständigen (strukturellen, systemischen, situationellen und persönlichen) Gewalt leiden und so dringend wollen, dass es aufhört. Insofern betrachte ich meine Arbeit als einen winzigen Tropfen in einem Meer, und ich habe eine klare Vorstellung von ihrer absoluten Begrenztheit und ihrem Scheitern: es gibt nur ein bisschen Linderung im Hier und Jetzt zwischen einzelnen Menschen. Mehr ist für mich gar nicht zu erreichen. Und doch ist das für die Personen in dem Moment wahnsinnig viel und sehr wertvoll. Und deswegen mach ich’s trotzdem, zweifelnd, nachdenklich, ausprobierend.

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