Förderung Restorative Arbeit

Ich habe eine Förderung erhalten, um restorative, abolitionistisch-feministische Arbeit zu machen. Ich möchte diese gerne dazu nutzen, jenen Menschen Begleitung anzubieten, die sich dies sonst nicht leisten könnten. Bitte sprecht mich an, wenn Ihr Euch Unterstützung wünscht, mir aber kein Honorar zahlen könntet.

Was nun, Köln?

Heute ist es zwei Wochen her, dass das Outing einer Person als «Täter» durch die IL letzten Sommer als unbegründet beanstandet wurde, da die vorgelegten Beweise einer Überprüfung nicht standhielten, sich vielmehr als Fälschungen herausstellten. Seitdem schweigt die IL, sowohl in Köln, als auch bundesweit. Und Schweigen ist auch im Walde der linken Szene.

Was der IL die Sprache verschlägt, lässt sich nur vermuten. Möglicherweise ist ihnen hier etwas über den Kopf gewachsen und jetzt weiß niemand, wie damit umgehen und keine:r will Verantwortung übernehmen, sich exponieren. Das ist menschlich nachvollziehbar, aber nicht akzeptabel. Ihr werdet schon in den sauren Apfel beißen und Euch äußern müssen, es gibt sehr viele Fragen, Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten zu klären, und wie es aussieht, auch Fehler einzuräumen und zu bedauern. Transparenz darüber, warum was wie entschieden wurde, was Euer Kenntnisstand ist, ist dringend nötig. Ihr lasst hier massiv Menschen im Stich. Das geht mit linker Politik nicht zusammen.

Ich kann mir vorstellen, dass es für das Schweigen des Szenewalds mehrere Gründe gibt. Neben Angst vor moralischer Verurteilung mag auch Schock und Ratlosigkeit eine Rolle spielen. Das ist verständlich, denn, wie man es auch dreht und wendet, es ist schwer, diesen Vorgängen einen Sinn abzugewinnen. Für manche mag es auch schwer sein, die Möglichkeit der Fälschung, der wahrscheinlichen Intrige, an sich heranzulassen – sei es, weil es dem eigenen Glaubenssatz widerspricht, dass Betroffene nicht lügen und der Fall somit das Worst Case Szenario ist, das einfach nicht wahr sein darf. Sei es, weil in der eigenen Matrix das Verhalten der IL Konsequenzen nach sich ziehen muss, die man ihr und sich, weil es schmerzhaft wäre, nicht zumuten will. Also lieber den Kopf in den Sand stecken und das offensichtliche nicht glauben. Das geht so natürlich auch nicht, das dürfte klar sein.

Mein Vorschlag wäre, einen konstruktiven Weg zu suchen, am besten mit der IL, aber wenn sie weiter abblockt und schweigt, dann ohne sie. Einen Weg, bei dem man einander anhört, sich ausspricht und das Handeln sich an der Sorge für die Community und ihre Mitglieder orientiert. Zunächst braucht es Klarheit über die Vorgänge. Dann müssen Fehler eingestanden und aufgearbeitet werden, Verantwortung übernommen und Schaden wiedergutgemacht werden. Beziehungen sind belastet und müssen geheilt werden. Vertrauen wurde zerstört, es muss wieder aufgebaut werden. Das bedarf einer offenen, ehrlichen und zukunftsorientierten Auseinandersetzung, in der niemand als entbehrlich zurückgelassen wird.
Keine Politzockerei, keine Taktiererei, kein Rumcheckern.

Ehrlich bedeutet auch, sich einzugestehen, dass die ganze Umgangsweise mit sexualisierter und sexistischer Gewalt in linken Kreisen auf einen solchen Fall zugesteuert ist. Einerseits können sich hier Cis-Männer an der eigenen Nase packen, in der Vergangenheit ähnliche Vorgänge mitunterstützt zu haben (in der Hoffnung, es treffe einen selber nicht) und gleichzeitig nichts zu tun, um gegen toxische Männlichkeit bei sich selbst und anderen zu arbeiten und somit solche Vorgänge seltener und unnötiger zu machen. Andererseits ist der Feminismus aufgerufen, sich auf ein strafabolitionistisches Fundament zu stellen. Die Szene insgesamt darf ihre Praxis der (konsequenzlosen) Skandalisierung von Einzelfällen aufgeben, die seit Jahrzehnten zu keinerlei Veränderung geführt hat.

DIes ist der Moment, um sich darüber zu verständigen, wie man miteinander umgehen will. Wie Menschen wirklich vor sexualisierter Gewalt geschützt werden, wie Opferschutz und Beschuldigtenrechte miteinander in Einklang gebracht werden können, was Definitionsmacht und kollektive Verantwortung bedeuten. Betroffene müssen darauf vertrauen können, ernstgenommen und unterstützt zu werden, Beschuldigte müssen darauf vertrauen können, dass ihre Persönlichkeitsrechte gewahrt werden. Dies ist der Moment, um zu begreifen, dass Feminismus und Strafabolitionismus keine Gegensätze sein müssen, sondern einander verstärken können. Es ist der Moment, um zu begreifen, dass die Exkulsion von Tatverantwortlichen als einzige Reaktion unzulänglich und unehrlich ist, weil es nur eine Externalisierung ist, die der Rückversicherung der eigenen «Unschuld» und des eigenen «Gutseins» dient, anstatt etwas zu verändern oder gar, wie so oft behauptet, Opfer zu schützen. Es ist der Moment, um sich ein tiefes Verständnis von Gewalt, Opferwerdung und Täter:innenschaft anzueignen, es ist der Moment, andere Umgangsweisen mit schmerzhaftem Geschehenen zu lernen. Es gibt die Chance, etwas schreckliches in etwas sinnvolles zu verwandeln, die Scherben aufzulesen und zu einer neuen Form zusammenzusetzen.

Abolition.Feminism.Now!

Nachricht aus der Schlangengrube

Heute erreichte mich die Nachricht, dass die Anschuldigungen, die im Sommer 22 zum «Outing» einer Person als «Täter» sexualisierter Gewalt durch die Interventionistische Linke in Köln führten, erfunden waren und auf nachweislich gefälschten Beweisen beruhen. Hier das Statement: https://gegendarstellungouting.wordpress.com/aufgedeckt-kolner-il-outing-basiert-auf-gefalschten-beweisen-und-falschen-behauptungen/

Eine unabhängige Aufklärungskomission, die seit 6 Monaten recherchierte, hat das geprüft und bestätigt: https://k3-2022.tumblr.com/

Das ist extrem gravierend. Mir fehlen echt die Worte.

Zwei Dinge möchte ich hierzu dennoch loswerden:

Erstens: Das System der Exklusionen auf Basis unüberprüfter Anschuldigungen im Namen der sog. Definitionsmacht und eines merkwürdig verstandenen Opferschutzes, kombiniert mit einer uneingestandenen Straflust, hatte immer diese enorme Schwachstelle: dass es missbraucht werden konnte, um sich unliebsamer Personen zu entledigen. Das Argument, dass Frauen* nur selten über erlittene Gewalt lügen würden, und es immer mehr echte als falsche Vorwürfe gäbe, es deshalb nicht von Belang sei, sich über erfundene Vorwürfe Gedanken zu machen, fand ich nie sonderlich überzeugend, sondern eher eine faule Ausrede, um keine besseren Lösungen suchen, nicht weiter denken zu müssen. Letztlich auch eine Ausflucht, um sich fremd bleiben zu können, nicht wirklich miteinander involviert zu sein. Und es ist naiv, zu glauben, es gäbe keine Machtkämpfe in linken Kontexten, und die hyperindividualisierten, zu Konkurenzkampf erzogenen Egos, die hier wie überall vorherrschen, würden sich dabei nicht aller Mittel bedienen, inklusive erfundener Vorwürfe.

Zweitens: In einer Restorativen Konfliktultur wäre es mglw. nicht unmöglich, aber doch erheblich viel schwerer gewesen, etwas derartiges durchzuziehen. Was auch immer der Grund für die falschen Anschuldigungen war, dieser hätte angesprochen werden können, der Konflikt hätte mglw. weit davor gelöst werden können, oder zumindest in seinen frühen Phasen durch kollektive Intervention entschärft werden können. Denn, wie in dem Statement zu lesen ist, die Eskalation hat sich über Monate aufgebaut, da hätte es viele Möglichkeiten für eine Gruppe und eine Community von Gruppen geben können, durch strukturierte restorative Gespräche zu Lösungen zu kommen. Die Fragen: wer ist betroffen und wodurch, und was brauchen alle Betroffenen und Beteiligten hätten ein Licht werfen können auf all jene, die in Mitleidenschaft gezogen wurden. All dies hätte nicht im Widerspruch zu Opferschutz gestanden, im Gegenteil, dieser hätte wirklich verfolgt und nicht nur als Vorwand benutzt werden können, wenn die Anschuldigungen echt wären, und es hätte ein so fahrlässiges und schädigendes Vorgehen auf Basis erfundener Anschuldigungen erschwert.

Vielleicht ist jetzt der Punkt gekommen, dass sich linke Strukturen die Frage stellen, wie sie eigentlich miteinander umgehen wollen, und versuchen, sich zeitgemäß auf ein abolitionistisches Fundament zu stellen. Wie das geht, und warum das kein Widerspruch zum Feminismus ist, kann man zB. bei Angela Davis, Derecka Purnell oder Ruth Wilson Gilmore nachlesen.

Kauft meine Bücher direkt beim Verlag

Durch die Pleite der Sozialistischen Verlagsauslieferung sind 70 linke Kleinverlage in eine existenzbedrohende Lage geraten, so auch der Verlag meiner Bücher, Schmetterling. Solltet Ihr vorhaben, mein Buch oder andere Bücher zu kaufen, bitte bestellt in nächster Zeit direkt beim Verlag (und vor allem NICHT bei diesem großen Internetladen mit dem anmaßenden Namen).

Buchvorstellung @ Linke Literaturmesse Nürnberg

Kommenden Samstag stelle ich mein neues Buch zu Restorative Justice in Nürnberg vor. Kommt vorbei!

Seh-empfehlung

https://yewtu.be/watch?v=vSA-EBzCDlo

Panel vom Heinz Steinert Symposium vor einem Jahr, an dem ich teilgenommen habe. Ab Minute 44 dieses Videos kommt mein Beitrag. Es geht um Abolitionismus und Restorative Justice, obviously.

Im Übrigen gibt es noch mehr Aufzeichnungen des Symposiums im gleichen Kanal.

Hörempfehlung

https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/philosophie-der-strafe-vom-sinn-und-unsinn-des-strafens/1857338

Schöner Podcast vom Bayrischen Rundfunk, mit der wunderbaren Restorative Justice Forscherin Christa Pelikan aus Wien.

Leseempfehlung: «Abolitionismus» von Vanessa E. Thompson und Daniel Loick

Kürzlich bei Suhrkamp erschienen. 600 Seiten, 28€.

Gute Übersicht über die wichtigsten Texte vor allem aus der amerikanischen und hier besonders der schwarzen abolitionistischen Tradition, viele zum ersten Mal auf deutsch. Da es sich um einen Reader, also um eine Artikelsammlung, handelt, kann man schön kreuz und quer und nach Geschmack und Bedarf lesen. Ich empfehle Bestellung beim Buchladen Deiner Wahl, ist am nächsten Tag geliefert. Don’t feed the greed machine.

Denken hilft

Wenn linke Justiz hinter bürgerliches Recht zurückfällt, anstatt darüber hinauszugehen, ist das keine Emanzipation.

Das ist nur ein Aspekt dessen, was falsch ist an diesem «Outing», das derzeit läuft. (Ich verlinke das hier nicht, es ist mir alles zu blöde).

Es wird mit Begriffen hantiert, ohne diese zu definieren und zu benennen. Hinter «Opferschutz» versteckt sich jede noch so totalitäre Maßnahme, und wer das kritisiert, ist dann automatische «Täterschützer*in». Nicht nur, dass gar nicht klar wird, wer wovor wodurch konkret Schutz braucht und ob die Maßnahme dafür geeignet ist und im Verhältnis zu den Vorwürfen steht; Nein: «wer nicht für mich ist, ist gegen mich» – Logik at its best. Die Welt ist also schwarz und weiß und ansonsten gibt es nichts. Wie traurig.

Eine große bundesweite Organisation schafft es nicht, die Dynamiken und Mechanismen ihrer Maßnahmen zu reflektieren und mitzudenken. Am Tribunal hätte der Angeklagte nur teilnehmen dürfen, wenn er sich schuldig bekannt hätte. «Selbstkritik» 2.0. Zudem ist diese Person also ein derartiges Monster, dass etwas anderes als sozialer Mord nicht in Frage zu kommen scheint, und dabei wirft man dann ohne mit der Wimper zu zucken gleich noch seine Familie mit unter den Bus, will dafür aber nicht verantwortlich sein, weil daran wäre er ja selbst Schuld (Wem der Begriff sozialer Mord zu krass ist, darf «sozialer Tod» googeln. Das ist es, was hier passiert). Wie schön ist doch die Welt, wenn alles so einfach ist.

Es wird viel mit Sicherheit argumentiert, ohne dass irgendwer mal auf die Idee kommt, eine kritische Hinterfragung dieses Begriffes vorzunehmen. Linke Politik ist jetzt also auch Sicherheitspolitik. Zu hinterfragen, was dieses komische Sicherheitsparadigma unter neoliberalen Vorzeichen eigentlich für eine Bedeutung hat, dafür reicht es nicht. Ich kann das Gelaber von «sicheren Räumen» nicht mehr hören. Das Bedürfnis nach Ruhe und Geborgenheit und ja, auch Sicherheit, kann ich verstehen, ich teile es, ja ich habe das auch. Gleichzeitig weiß ich, dass es keine Sicherheit gibt, in dieser Gesellschaft so nicht geben kann. Dass das eine Argumentation ist, die seit geraumer Zeit für stets noch totalitärere Maßnahmen herhält. Dass es dabei eine Juridifikation aller Lebensbereiche gibt, alles muss abgesichert werden. Dagegen kann man scheinbar nichts sagen. Wer ist schon gegen Sicherheit? Das ist aber hochproblematisch und sehr gefährlich! Wir haben es hier mit einem widersprüchlichen Feld zu tun, und dem gerecht zu werden, darüber kollektiv zu reflektieren, das wäre emanzipatorische und kritische Politik. Aber derzeit ist Denkfaulheit eher in Mode.

Es ist aber noch schlimmer. Linke Justiz wird ja nicht einmal diesem ihrem eigenen Sicherheitsparadigma gerecht. Denn wenn es um Sicherheit geht, und das die oberste Priorität ist, dann würde man doch vermuten, dass alles daran gesetzt wird, genau zu ergründen, was es dafür bedarf. Aber nein. Mitnichten. Stattdessen wird die gleiche Kurzschlusspraxis, die seit 40 Jahren, wenn nicht seit 200 Jahren nicht zum gewünschten Ergebnis führt, mit den immer noch gleichen Argumenten wiederholt und fortgeschrieben. Nicht nur, dass man sich fragen könnte, ob eine Maßnahme sinnvoll ist, wenn sie seit Jahrzehnten nicht zu dem führt, was man sich wünscht, man schafft es nicht einmal zu begreifen, dass sie sogar zum Gegenteil führt. Ausschluss, Outing und Rache sollen also potenzielle «Täter*innen» einschüchtern und so zu mehr Sicherheit führen. Der Trugschluss ist, dass die «Täter*innen» die anderen sind. Wahr ist, dass alle, jede*r!, bereits grenzverletzendes Verhalten in unterschiedlichem Ausmaß begangen hat, was bedeutet, dass 1. dieses Vorgehen zu einem Klima der Angst führt, in dem sich niemand mehr traut, Kritik zu üben oder offen über Fehler zu sprechen, weil man mit dem sozialen Tod rechnen muss (ja absichtlich so drastisch geschrieben) und 2. die kollektive Dimension des Problems nicht begriffen wird. 3. bedeutet das, dass es «Frieden» nur gibt, solange dieser Druck aufrecht erhalten wird.

Das ist für Betroffene katastrophal und genau kein sicherer Raum. Warum? Weil dadurch keine kollektive Lösung gesucht wird, Menschen nicht aus ihren Fehlern lernen und sich ändern, weil diese ja gar nicht mehr besprechbar sind sondern nur unterdrückt wurden, sowie die Person, die aktuell geoutet wird, immer nur die ist, die erwischt wurde, während alles andere unbehandelt bleibt. Eigentlich könnte man sogar sagen, dass das diejenigen, die noch nicht geoutet wurden, sogar zu den gefährlicheren macht, weil sie ihre Gewalt besser verstecken können. Ich kann mich nur wiederholen: es gibt keinen Club der besseren Menschen. Es gibt keine sicheren Räume mit reinen, gewaltfreien Menschen, die niemals einer Fliege etwas zu leide getan haben. Nach dem Outing ist immer vor dem nächsten Outing und nichts ändert sich.

Anstatt also ernstzunehmen, dass Gewalt etwas ist, dass uns alle durchzieht, und daraus die Konsequenzen zu ziehen, wird stur der immer gleiche Mechanismus durchgezogen, und das mit einem vor sich hergetragenen moralischen Anspruch, der jede Kritik sofort zunichte macht. Ich werde mich aber dieser linken Denkfaulheit nicht beugen. Wer von kollektiver Verantwortung nicht sprechen will, soll von Opferschutz schweigen. Für Betroffene von Gewalt ist es wichtig, dass die Gewalt aufhört. Individuell wie kollektiv. Dafür muss die Gewalt begriffen werden, davon ist diese Szene meilenweit entfernt. Man kann etwas, das man nicht besprechen kann, weil man Angst davor hat, nicht begreifen und nicht transformieren.

Es braucht eine positive Fehlerkultur. Es braucht offenes Reden über Unsicherheiten. Es braucht eine positive und aufgeklärte Sexualkultur. Es braucht persönliches Engagement untereinander, bei dem man sich gegenseitig in das Leben einmischt. Es braucht vor Allem Cis-Männer, die lernen über ihren Sex und ihre Ängste und ihre Unsicherheiten zu sprechen. Miteinander. Das allermeiste an sexualisierter Gewalt passiert aus Unwissenheit, aus Unsicherheit, aus Tolpatschigkeit und Kommunikationsfehlern. Hier ist Prävention durch eine positive und offene Kultur möglich. Das wäre die Basis, und dann könnte man darauf aufbauend darüber reden, wie mit jenen Taten umgegangen wird, die absichtsvoll, geplant oder bewusst passieren. Und hierfür wiederum wäre die Basis, dass man die Tatverantwortlichen nicht dämonisiert, sondern ihre Taten verurteilt während man sie als Menschen mit Rechten respektiert, die von dieser Gesellschaft sozialisiert wurden, welche mithin mitverantwortlich ist. Das verweist darauf, dass es um gesellschaftliche Veränderung gehen muss, nicht um individuelle Skandalisierung.

Es ist verständlich, dass Menschen, zumal Betroffene, wütend sind. Ich sollte das hier nicht schreiben müssen, aber um der Frage vorzubeugen, ob ich überhaupt weiß, wovon ich spreche: ich bin selbst mehrfach Betroffene aller möglicher verschieden schwerer Formen sexualisierter, sexueller und sexistischer Gewalt, von Voyeurismus bis versuchtem Femizid. Meine Position speist sich daraus, dass ich will, dass das aufhört. Ich habe mehrfach Betroffene persönlich unterstützt. Und ich habe selber in der Vergangenheit blind bei diesen Praktiken, die ich hier kritisiere, mitgemacht und sie mit flammendem Schwert vertreten. Ich kann diese Position, die Wut, die Ohnmacht, die Rachegelüste, all das, zutiefst verstehen. Ich werfe es niemandem individuell vor, diese Gefühle zu haben und nicht in der Lage zu sein, intelektuelle Oberhand darüber zu gewinnen und Dinge einzuordnen. Eine linke bundesweite Organisation aber, die viele erfahrene und kluge Leute zu ihren Mitgliedern zählt, die auf hohem Niveau politisch agiert, also analysieren, reflektieren und strategisch agieren kann, muss über diesen Punkt hinauskommen. Wenn sie keine Diskussionskultur mehr hat, in der offen über Fragestellungen der Vorgehensweise gestritten werden kann, wenn sie nicht die intellektuelle Kapazität hat, ihr Handeln einzuordnen, ihre Begriffe zu hinterfragen und sich entsprechend theoretisch und historisch zu informieren, ist sie am Ende. Ich weiß nicht, was hier vorgeht, aber entweder erleben wir die xte stalinistische Deformierung einer Organisation, mit einem Klima der Angst intern, in dem Widerspruch auszusprechen nicht mehr gewagt wird, oder eine ganze Organisation mit x Kader*innen hat weniger kritische Kapazität als mein Genosse, der sich fragt, wie diese Vorgänge in die globale Faschisierung einzuordnen sind, welche auf den Leibern ausgetragen wird, und was das für das eigene kollektive Handeln bedeutet; oder meine Genossin, die Überlebende einer evangelikalen Sekte ist und sehr empfindlich auf inquisitorische Tendenzen reagiert, weil das genau das ist, wovor sie in die linke Szene geflohen ist. Und daran wird deutlich: eine Szene, in der es keinen Schutz vor Willkür gibt, in der anonyme Anschuldigung (oder wahlweise auch undefinierte, wie in letzter Zeit Mode ist: dir wird ein Übergriff vorgeworgen, was wann wo und gegen wen sagen wir dir nicht, denk mal selber nach) über Nacht und ohne Möglichkeit der Reflexion und des Dialogs zu sozialem Tod führen, ist kein Ort für Menschen mit Traumageschichte.

Noch einmal: Schutz für Betroffene bedeutet vor Allem, die kollektive Dimension der Gewalt zu begreifen (also theoretisch zu durchdringen!) und die praktischen und sozialen Konsequenzen daraus zu ziehen, was idR heißt, sich nach Verfahren umzusehen, die die Bedürfnisse der Betroffenen ins Zentrum rücken und sie bei der Heilung unterstützen, die Menschenrechte der beschuldigten Person respektieren und ihre Verantwortungsübernahme unterstützen sowie die kollektive Verantwortung für Transformation ernstzunehmen und sich für notwendige Veränderung zu öffnen. Das kann auch mal bedeuten, eine Person temporär geographisch zu beschränken. Es würde aber heißen, das nicht als Standardlösung reflexartig einzusetzen, sondern stets nach konkret angepassten Lösungen zu suchen. Es würde bedeuten, die simple psychologische Wahrheit zu verstehen, dass Angriff zu Verteidigung führt, und Unterstützung und Akzeptanz – kritische! – den Raum für Selbstveränderung und Annahme der Fehler öffnet. Das ist die Erfahrung meiner Arbeit mit Tatverantwortlichen. (Und es ist wirklich nichts besonderes, das ist Basispsychologie.)

Es würde bedeuten, zu begreifen, dass man seine Maßnahmen an den eigenen Zielen messen muss, und nicht einfach irgendwas macht, weil das moralisch gut aussieht, um sich dann zu beklagen, dass die Ergebnisse nicht sind wie gewünscht. Es sind ja immer die anderen Schuld, nicht wahr. Man könnte halt auch einfach begreifen, woran es liegt, und das Vorgehen anpassen. Das setzt voraus, dass man die eigenen Ziele (Opferschutz!) überhaupt ernst nimmt, ich hab da so meine Zweifel manchmal. Es ist leichter zu tun, was sich gut anfühlt, womit man sich moralisch erheben kann, als zu tun was nötig und richtig ist.

Und nicht zuletzt: die derzeitige Praxis, die anonyme oder unkonkrete Anschuldigungen zum Anlass nimmt, Menschen an den Pranger zu stellen oder zu verbannen, öffnet Missbrauch und Willkür Tür und Tor. Diese Praxis ist nicht akzeptabel, egal was für Begründungen man ins Feld führen mag. Es braucht Schutz vor Wilkür. Das bürgerliche Recht hat sich daran orientiert, es scheitert aber an anderen Stellen und ist nicht mein Referenzrahmen. Es ist aber mehr in der Lage, Opferrechte anzuerkennen, als Linke derzeit Angeklagtenrechte. Beide dürfen und müssen nicht gegeneinander ausgespielt werden, die Aufgabe besteht darin, sie miteinander zu verbinden und so über den heutigen Status quo hinauszukommen.

If your feminism isn’t penal abolitionist, it’s not part of any solution.

And I will die on that hill.

Beitrag bei Radio Dreyeckland

In der Reihe »Europe in my backyard« ging es letzte Woche um »Integrationsprogramme in Arbeit und soziale Gerechtigkeitsverfahren als alternative Konzepte« mit Kommentaren von mir. Hier online anzuhören (30min):

https://rdl.de/beitrag/integrationsprogramme-arbeit-und-soziale-gerechtigkeitsverfahren-als-alternative-konzepte