Wisst ihr was? Ich bin enttäuscht. Ent-täuschung impliziert ja, dass man zuvor einer Täuschung aufsaß, sich ge-täuscht hat und nun mit einer ernüchternden Realität konfrontiert ist. Das ist schmerzhaft.
Ich bin enttäuscht von der IL, das heißt, ich habe mich darin getäuscht, dass sie eine verantwortungsvolle, basis-demokratische, vertrauenswürdige Organisation ist, der es um politische Inhalte und linke Werte geht und nicht um Machtzockerei. Einige mögen sagen, meine Güte, wie naiv kann man sein? Ja, sorry, ich dachte halt, dass bei allen Problemen am Ende genügend erfahrene und aufrichtige Menschen dort engagiert sind, um bei problematischen Entwicklungen korrektiv zu sein. Es zeigt sich seit Längerem, dass das nicht der Fall ist. In der Frage des Outings von C in Köln gibt es aber noch eine drastischere Dimension. Die Kommunikation der IL ist ausweichend, postfaktisch und vor Allem aussitzend. Sie braucht mit ihren Antworten extrem lange, ignoriert Fragen, ist maximal intransparent und betreibt Verantwortungsdiffusion. Was für mich aber am Schlimmsten ist: Die IL verhält sich wie ein Täter, der sich nicht verantworten will. Sie weicht aus, ignoriert, duckt sich weg, sitzt aus und hofft, irgendwie heil aus der Nummer herauszukommen, anstatt zu ihrer Verantwortung zu stehen. Und sie ist Täter: sie hat Opfer produziert, und damit meine ich nicht nur den geouteten Beschuldigten und seine Familie, sondern jene FLINTAs in Köln, die Monate lang im Ungewissen darüber waren, ob ihre Mitbewohner, Genossen und Freunde möglicherweile sexistische Prädatoren sind, vor denen sie sich in Acht nehmen müssen, weil die IL eine Zeit lang behauptet hat, es gäbe sicherer Beweise für ein sexistisches Männernetzwerk. Nur um irgendwann einfach nicht mehr davon zu sprechen und seitdem zu allen Nachfragen diesbezüglich zu schweigen. FLINTAs wurden getriggert und retaumatisiert. Im Namen eines völlig irre gewordenen «Opferschutzes» hat die IL Opfer produziert und verhält sich jetzt selbst wie jene Täter, gegen die sie doch so rigoros vorgehen will. Es widert mich an und ich bin enttäuscht, dass ihr das gelingt, ohne dass Menschen den FLINTAs zu Seite stehen und von der IL eine Verantwortungsübernahme verlangen, «Ver-Antwortung», also Antwort, Offenlegung und Erklärung, wie sie künftig ähnliches zu verhindern denkt.
Ich bin auch enttäuscht, weil sich ein neuer Trend abzeichnet, in dem Männer sich dieser hilflosen linken Vorgehensweisen (Beschuldigung=>Ausschluss), die in einem Klima der Angst stattfinden, bedienen, um sexuelle Nebenbuhler oder politische Rivalen loszuwerden – gegen diese Fakes hilft nur besonnenes Handeln und nicht moralisch rigoroses Bestehen auf Leitfäden und Grundsätzen. Beim Kölner Outing zeichnet sich ab, dass die ganze Anschuldigung auf dem Mist eines anderen Mannes gewachsen ist, der die «Betroffene» vermutlich für das Ausboten eines politisch unliebsamen und sexuellen Rivalen benutzt und vermutlich manipuliert hat. Ein ähnlicher Fall ist mir aus Hamburg bekannt geworden, wo ein Mann unter Ausnutzung feministischer Vorgehensweisen versucht hat, einen anderen Mann als Täter anzuprangern, um ihn so als Konkurrenten um eine FLINTA loszuwerden. Anstatt das relativ schnell zu durchschauen und klar zurückzuweisen, sind jetzt alle verunsichert und selbst wenn am Ende dabei herauskommt, dass die Anschuldigungen jeder Grundlage entbehren (die angeblich Betroffene weist die Schilderungen selbst zurück!), so bleibt doch immer genug hängen, um den Ruf zu ruinieren und Misstrauen zu sähen. Dies ist eine alte Taktik des Rechtspopulismus: Anschuldigungen erfinden, in dem Wissen, dass genügend hängen bleibt, selbst wenn sie vollständig widerlegt werden. «Flood the room with shit.»
Wir sind so schwach, so unklug, so wenig gewappnet und oft auch so feige. Das macht mir wirklich Sorgen.
Und ich bin enttäuscht von den Cis-Männern, die es trotz all der Bewegung, die in den letzten Jahren nochmal in die Debatte um Sexismus und sexualisierte Gewalt gekommen ist, immer noch nicht schaffen, eine profeministische Praxis zu entwickeln, sich gegenseitig bei der Auseinandersetzung mit Täterschaft zu unterstützen und Strukturen zu schaffen, die für feministische Aktion ansprechbar ist. Immer noch kommt erst dann Bewegung in die Sache, wenn einer unter Druck steht und Gefahr läuft, seinen Wohnort, seine Gruppe oder seine Arbeit zu verlieren. Wieso gibt es keine Männer-Lesekreise für feministische Literatur in jeder Stadt? Nach mehreren Jahren Arbeit mit Tatverantwortlichen muss ich feststellen, dass Männer meilenweit davon entfernt sind, zu begreifen, was Sexismus ist und wie das Patriarchat wirkt. Jedes Mal wieder muss ich den Zahn ziehen, dass diese Auseinandersetzung irgendwann „vorbei“ ist. Natürlich gibt es Phasen unterschiedlicher Intensität der Auseinandersetzung, aber es gibt kein Ende, man ist nicht irgendwann „fertig“ als feministischer Mann! Was Du 20 Jahre lang gelernt hast, wirst Du mindestens 40 Jahre lang ent-lernen müssen! Mit zwei, drei Bücher lesen ist es wirklich nicht getan (und selbst das tun ja viele nicht, und wenn, dann wollen sie eine Anleitung).
Und was macht man, wenn man enttäuscht ist? Man hinterfragt, wie es dazu kam, lässt seinen Frust raus – und dann macht man weiter. Denn eine Alternative dazu gibt es nicht. *Seufz*
Hi Rehzi,
Danke für den Text. Sich ent-täuschen lassen, auch wenn es weh tut und die sich dadurch öffnende Tür nutzen, um weiterzugehen. Schwierig, sehr schwierig und teilweise so frustrierend. Aber … no surrender! Ist noch ein weiter Weg und die von dir beschriebenen Machtmissbräuche hören nicht auf, scheinen mehr zu werden, und zwar überall. Aber deine Statements und die Arbeit der Untersuchungsgruppe sind wichtig, geben Vertrauen, dass es weitergehen kann. Wie schon gesagt, danke dafür. Liebe Grüße
Bøde