Wollen wir mal kurz über dieses Wort reden, dass allen so wichtig ist? Menschen sollen für ihr Verhalten, für ihre Handlungen Verantwortung übernehmen, heißt es allerorten, und besonders nach jedem neuen Skandal ist dies die Forderung an die beschuldigte Person.
Zu Recht. Zumindest teilweise.
Aber es gibt hier mehrere Schwierigkeiten. Der Fokus auf die individuelle Verantwortung sogenannter „Täter:innen“ verschleiert die kollektive, soziale und gesellschaftliche Dimension der Verantwortung für eine Handlung. Diese jedoch immer mit im Blick zu haben und die Konsequenz daraus zu ziehen, theoretisch und praktisch, ist Aufgabe linker Politik. Niemand wird als „Täter:in“ geboren, wir werden dazu gemacht, könnte man in Anlehnung an Simone de Beauvoir sagen. Es geht darum, dass diese Handlungen AUCH Ausdruck des anerzogenen Konkurrenzkampfes, der Machtausübung, der Objektifizierung von Menschen, der Entsolidarisierung untereinander, der Unverbindlichkeitskultur etc sind. Es geht darum, dass möglicherweise neun tolerierte sexistische Kommentare beim Fussballverein bei dem einen oder anderen den Eindruck entstehen lassen, beim zehnten Mal zur Tat schreiten zu können. Es geht darum, dass das Nicht-sprechen über eigene Unsicherheiten, Ängste oder problematische Phantasien/Wünsche keine Reflexion über das Entstehen von Täter:innenschaft erlauben. DAS alles sind Beispiele KOLLEKTIVER Verantwortung auf verschiedenen Ebenen.
Und dann ist da noch die Frage danach, wie dieses „Verantwortung übernehmen“ überhaupt geht. Mein Eindruck ist leider nicht, dass linke Gruppen und Organisationen dies besonders gut vorleben (Ausnahmen mögen die Regel bestätigen). Zwei Beispiele aus letzter Zeit: Wie die IL mit dem Outingskandal umgeht, ist genau das Gegenteil von verantwortlichem Handeln und folgt bekannten Schuldabwehrmotiven. Wie will man von Einzelnen Verantworungsübernahme fordern, wenn man es als Organisation nicht vorlebt, sondern genau zeigt, wie es geht, das NICHT zu tun? Erstens wird man dadurch unglaubwürdig und begibt sich auf eine Position, von der aus man schlecht mit dem moralischen Zeigefinger auf andere zeigen kann, zweitens begründet und perpetuiert man dadurch eine Kultur der Veranwortungslosigkeit und Schuldabwehr.
Ähnliches passiert mir gerade auch mit diesem unsäglichen AK-Artikel, der mich als „Täterschützerin“ diffamiert. Nachdem ich gefordert habe, dass der Autor mir die von ihm erfundenen Aussagen nachweisen soll, habe ich nichts mehr gehört. Die AK hat den Artikel vorläufig aus dem Netz genommen, was ja schonmal gut ist, aber Verantwortungsübernahme dafür, dass man jemanden mit Lügen öffentlich diffamiert, ist das noch keine, weder seitens der AK noch seitens des ominösen Ashley“. Ich habe Fragen: wer ist Ashley? Was ist seine Motivation für diese Diffamierung? Wie kam es dazu, dass die AK den Artikel akzeptiert hat? Wie soll es jetzt weitergehen?
Daher hier nochmal für alle, die sich fragen, woran man Verantwortungsübernahme erkennt, die 7 Schritte eines VÜ-Prozesses:
- Was ich getan habe (Handlung konkret, nicht verallgemeinern)
- Wie es dazu kam/mein handlungsleitendes Motiv
- Wie andere unter meiner Handlung leiden (Wer? Wodurch? Inwiefern?)
- Wie ich meine Handlung heute sehe und wie es mir damit geht
- Was ich tue, um Ähnliches künftig zu verhindern
- Was ich anbiete um es „wiedergutzumachen“ / Schaden auszugleichen
- Wie ich die Rolle von Machtverhältnissen bei der Entstehung des Unheils sehe.