Zur Kontroverse über Homöopathie in der »TAZ«
Der Artikel »Das weiße Nichts« in der TAZ hat mal wieder zu einem heftigen Streit über die Wirksamkeit von Homöopathie geführt. Sie beruhe auf einem Denkfehler, heißt es. Ob der Denkfehler nicht eher bei jenen liegt, die hier etwas beurteilen? Da ich in letzter Zeit immer wieder mitbekomme, wie Linke sich für besonders schlau und fortschrittlich halten, wenn sie am besten gleich alle alternativmedizinischen Methoden für »Esoterik« erklären, hier ein Kommentar.
Zunächst mal: es geht mir wahnsinnig auf die Nerven, wenn Leute von Wirsamkeit oder Nicht-wirksamkeit schwadronieren, ohne dabei entweder im entsprechenden Fachgebiet versiert zu sein NOCH eigene Erfahrungen zu haben. Manche Sachen muss man am eigenen Leib erleben, um sie zu verstehen.
Das erste Problem bei der westlich-herkömmlichen Beurteilung alternativer Heilmethoden ist die prinzipiell andere Betrachtungsweise. Die okzidentale Schulmedizin ist die einzige Heilmethode, die nach dem Autowerkstatt-verfahren vorgeht: Ein Teil ist kaputt, wir reparieren oder ersetzen es. Es ist eine auf dem cartesianischen Weltbild beruhende Methode, die nicht den ganzen Zusammenhang, sondern nur das Einzelteil betrachtet. So werden dann Symptome behandelt und höchstens noch Auslöser gesucht, aber an die Frage nach den Ursachen kommt man nicht ran. Ein Beispiel: Ich hatte als Jugendliche urplötzlich entzündete Zehennägel. Erst links, dann rechts, dann wieder links. Über Jahre. Es kam plötzlich, war sommers wie winters da, hatte nichts mit Schuhen oder anderen Lebensgewohnheiten zu tun. Die Ärzte schnitten die Eiterungen auf, empfahlen Salben usw. Warum aber mein Körper entschied, die Zehennagelbetten zu entzünden, werde ich bis heute nicht wissen. Irgendwann hörte er damit auf und es ist bis heute nie wieder passiert.
Naturheilkunde, wenn sie gut ist, stellt sich die Frage nach dem woher. Wie kommt das? Womit hat das zu tun? Was drückt sich aus? Naturheilkunde sieht den Menschen als Ganzes. Körper, Geist, Seele. Für die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und die meisten anderen Heilkunden gibt es nichts absurderes als die Idee, Körper und Geist sowie einzelne Teile davon getrennt zu betrachten und sich nur um die örtlichen Syptome zu kümmern. Genau das passiert aber tagtäglich in Arztpraxen. Und die meisten Leute landen deswegen irgendwann bei naturheilkundlichen Methoden. Wobei Methode auch wieder das falsche Wort ist: man kann das nicht anwenden wie man ein Antibiotikum verschreibt. Dahinter steckt eine völlig andere Haltung und ein anderes Verständnis der Welt. Was wiederum ein Grund ist, warum die besten HPs keine Ärzt*innen sind und Ärzt*innen oft keine guten Anwender*innen von HP-Verfahren.
Zurück zur Homöopathie, um die es in dem streitbaren Artikel geht.
Meine Erfahrung mit Homöopathie ist die gleiche wie mit anderen naturheilkundlichen (und schulmedizinischen!) Verfahren: sie wirken nicht bei jedem Individuum und in jeder Lebensphase gleich. Der oder die Behandelnde muss zu mir in jenem Moment passen (weil es viel darum geht, über Einfühlung auf die richtige Fährte zu gelangen). Das macht die Sache nicht leichter, erklärt aber manches Scheitern. Hier sehen wir Denkfehler Nr 1, nämlich, dass alles bei allen gleich »anschlagen« muss. Das ist ja nicht mal bei Pharmazeutika der Fall, und da weiß auch keiner warum’s mal hilft und mal nicht. Den Standardkörper, den die Schulmedizin gerne hätte, gibt es so nicht (und er wird übrigens nach wie vor als männlicher vorgestellt). Es ist einer ihrer Hauptfehler, dass sie für Individualität blind ist.
In dem Artikel gibt die Ärztin, um die es geht, die Homöopathie auf, weil sie sich nicht mehr sicher ist, ob sie wirklich hilft. Schließlich erinnere man sich ja nur an die Patient*innen, bei denen es gelungen sei. Was mit denen ist, die wegbleiben, wisse man ja nicht. Ähem. Also, das ist ja nun das gleiche bei allen Ärzt*innen. Ich bin auch schon oft weggeblieben, weil mir der Ansatz nicht zugesagt hat oder ich die Ärzt*in unsympathisch fand oder ich den Eindruck hatte, es hilft mir nicht. Das stellt aber nicht das Verfahren insgesamt in Frage. Es passte mir zu dem Zeitpunkt nicht. Anderen mag geholfen werden. Ich finde es aber richtig und verantwortungsvoll, dass die Ärztin ein Verfahren aufgibt, hinter dem sie nicht mehr steht. Es wäre wünschenswert, sie würde alle Verfahren und Präparate, die sie anwendet, der gleichen strengen Beurteilung unterziehen…
Ich bin mit der klassischen Homöopathie aufgewachsen und ich muss sagen, dass ich bis heute vom Anamnesebogen beeindruckt bin. Das sind mehrere Seiten äußerst detaillierter Fragen, weil die Mittel sich je nach Seitenaspekten sehr unterscheiden. Das ist die schwierige Aufgabe einer Homöopathin oder eines Homöopathen, (und hier kommen Einfühlungsvermögen und Sympathie ins Spiel). Wenn sich Ärzt*innen ähnlich viel Mühe geben würden, könnten sie mglw. wesentlich besser heilen, als sie das tun. Das ist auch eine Kostenfrage, aber das ist ein anderes Thema. Meine Lieblingsmethode ist Homöopathie allerdings nicht. Ich bevorzuge andere Naturheilverfahren. Das variiert je nachdem, worum es geht und was ich brauche.
Abgesehen von Anamnesebögen: jede*r vernünftige Heilpraktiker*in schickt dich zum Abklären zur Ärzt*in. Das wird so eigentlich auch in der HP-Ausbildung gelehrt. (Was nicht heißt, dass die das (richtig) tun. Das Beispiel im TAZ Artikel zeigt es und meine eigenen Erfahrungen mit Ärzt*innen bestätigt, dass man sie manchmal geradezu zwingen muss, eine echte Anamnese zu machen. »Ich sehe nichts« habe ich von einigen HNO-Ärzt*innen gehört, obwohl ich starke Atemwegsbeschwerden hatte, oder auch: »Sie haben nichts.« Nachforschen wollte bis jetzt keine*r und so lebe ich weiter mit meinen Symptomen. Nach 4 Versuchen habe ich die Schnauze voll von HNO-ler*innen.) Man muss ja schließlich wissen, was los ist, um weiterzudenken und behandeln zu können. Und dass die Apparaturen der Schulmedizin für genauere Erkenntnisse darüber, was wie krank ist, überaus hilfreich sein können, bezweifelt niemand. Es gibt also, das wissen wir alle, gute und schlechte Ärzt*innen. Genauso gibt es gute und schlechte Heilpraktiker*innen. Oder sagen wir besser: gewissenhaft und schlampig arbeitende HPs und Ärzt*innen. Denn manchmal weiß eine halt nicht weiter oder kommt nicht auf die richtige Idee. Oder die »Chemie« zwischen Behandelten und Behandelnden stimmt eben nicht.
Meine Erfahrung ist, dass das derzeitige Finanzierungsmodell unseres Gesundheitssystems aus Ärzt*innen eigentlich systematisch schlechte Ärzt*innen macht und sie sich, wenn sie das nicht wollen, aktiv gegen diese Tendenz wehren müssen. Sie dürfen sich ja qua Abrechnungsvorschriften gar nicht die Zeit nehmen, die es bräuchte, um wirkliche Anamnese zu betreiben. Sie werden von der Pharma-industrie systematisch indoktriniert (die berühmten Vertreter*innen, die regelmäßig in den Praxen vorbeischauen. Man erkennt das dann daran, dass plötzlich bestimmte Medikamente in einer Praxis Konjunktur haben). Ihre Ausbildung legt ihnen nicht Demut gegenüber den Erfahrungen der Patien*innen mit ihrem eigenen Körper, sondern Arroganz auf Grund ihrer vermeintlichen Allwissenheit nahe. Dazu kommt die Profitorientierung. Viele Ärzt*innen wollen zu den Topverdiener*innen gehören. All das verhindert Heilen.
Das ist bei HPs anders. Weder legt ihnen ihre Ausbildung nahe, »alles besser zu wissen« als die Patient*in, vielmehr geht es um Begleitung und um gemeinsames Forschen. Noch erwarten HPs, von ihrem Beruf reich zu werden. (Übrigens, die meisten Leute in meiner Abi-klasse, die Ärzt*innen werden wollten, waren nicht gerade Empathiegranaten, und ihre Motivation war Prestige und Geld, nicht Hilfe oder Sorge um den Nächsten… Viele wurden Ärzt*innen, weil ihre Eltern Ärzt*innen waren. Zu keiner davon würde ich als Patientin gehen wollen!) HPs werden anders (aber nicht besser!) bezahlt und können sich die Zeit nehmen, Zeit ist oft sogar einer der wichtigsten Komponenten. Im Wartezimmer von HPs stapeln sich keine Patient*innen. Gespräche und Behandlungen dauern. Es wird nicht im Minutentakt abgefertigt. All diese Komponenten zählen.
Siehste, sagen dann die Skeptiker*innen, es sind gar nicht die Methoden, es ist einfach die Zeit und die Zuwendung. Und hier liegt quasi der zweite Denkfehler. Wer wollte das denn trennen? Wie kann man das auseinander denken? Sich Zeit nehmen, heißt auch, genauer sein zu können. Auch pharmazeutisch und technisch induzierte Heilprozesse sind von Zuwendung und Aufmerksamkeit abhängig. Wir sind lebendige Individuen und reagieren mit unserem ganzen Wesen auf das, was mit uns geschieht, sei es Akkupunktur, eine Chemotherapie oder ein Heilfastenprogramm. Naturheilkunde zielt immer auf die Veränderung des ganzen Menschen, weil sie das Symptom ja nicht als reparaturbedürftiges Einzelteil sondern als Ausdruck eines Problems im System sieht. Also muss man auf das ganze System eingehen, und dazu gehört Zuwendung, Gespräche, mglw. zusätzliche Umstellung von Ernährungsgewohnheiten oder Lebensstiländerungen.
Genau weil Naturheilkunde nicht so funktioniert, dass man sich »was reparieren lässt« und sonst weitermacht wie bisher, ist es unmöglich, sie mit cartesianischen Parametern (wir isolieren einen Vorgang und schauen ob er funktioniert) zu beurteilen. Das ist halt auch der Punkt mit diesen Homöopathie-tests. Eine Massen-mittelvergabe ohne genaueres Eingehen auf den Menschen und ohne Detailanamnese ist völlig widersinnig. Natürlich funktioniert das nicht. Das habe ich schon oben zum Thema Individualität geschrieben. Und das sagen die Homöopath*innen selber: wenn es nicht das richtige Mittel ist, passiert – nichts! Sprich, du kannst dich auch nicht vergiften. Manchmal braucht es eine Abfolge verschiedener Mittel, damit die Wirkung offenbar wird. Das ist für unser mechanistisches Weltbild schwer zu begreifen.
Es ist dieses Weltbild, das ein Problem ist. Es hat uns Aspirin und Penicillin gebracht, aber auch Glyphosat und Atomkraft. Ironischerweise ist es auch die Atomphysik, die begreift, dass es jene »feinstofflichen« Zusammenhänge und Wirkweisen gibt, von denen naturheilkundliche Verfahren seit jeher wissen, die aber von so vielen hyper-materialistischen Linken immer noch belächelt und als (faschistische) Esoterik bekämpft werden. Es ist allerhöchste Zeit, zu akzeptieren, dass auch das seit der Neuzeit geltende materialistisch-schulmedizinische Weltbild nur eine Möglichkeit ist, die Welt zu interpretieren und dass nichts darauf hinweist, dass diese Interpretation die einzige bzw. richtiger ist als andere. Das wollen wir nicht akzeptieren, weil wir so gerne glauben wollen, dass unsere Wissenschaft gegenüber »primitiven« Erklärungsmodellen überlegen ist. Wir müssen aber feststellen, dass sie auch nur das erklären kann, was sie aus ihrem Blickwinkel überhaupt zu betrachten in der Lage ist, und dann beeinflussen wir auch noch das Ergebnis. Heisenberg lässt grüßen. Und das ist zudem nur ein Teil der Realität, die wir als begrenzte Wesen ohnehin niemals werden ganz erfassen können. Mithin ist das Problem ein Mangel an Demut und Einsicht darin, dass wir wenig wissen und viel glauben. Und dass wir als unterschiedliche Wesen unterschiedliche Erfahrungen machen, und mit unseren unterschiedlichen Erfahrungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Seit einiger Zeit gehe ich zu einer Heilpraktikerin, die Somatic Experiencing macht. Wollte man eine*r HP-Skeptiker*in erklären, was diese Frau mit mir macht, man hätte seine Mühe. Es ist eine sehr sanfte und sehr subtile Methode der Körpertherapie. Und umso unglaublich viel wirkungsvoller. Empfohlen hat sie mir eine Frau, die nach einer Schwerst-mehrfachtraumatisierung nicht mehr schlafen konnte. Alle Therapien nutzten nichts. Sie gab mir die Telefonnumer mit den Worten: »Diese Frau hat gemacht, dass ich wieder schlafen kann.« Was soll ich sagen? Dieser Frau verdanke ich, dass ich bereits 2 Wochen nach einem schweren Schock (Lebensgefahr) wieder munter auf den Beinen war und das Erlebte heute als eine normale, wenn auch unschöne, aber nicht belastende Erinnerung abgespeichert habe. In der Traumaforschung gilt SE als eine der effektivsten und sanftesten Methoden. Und wie so oft bei Naturheilkunde: solange die Heilpraktiker*in gewissenhaft und gut arbeitet, ist es so gut wie ausgeschlossen, dass man sich damit schädigen kann. Im schlimmsten Fall hilft es einfach nicht. Aber man wird nicht krank davon. Das kann die Schulmedizin mit ihren Psychopharmaka nicht von sich behaupten. Ich gehe immer noch zu dieser Frau. Vom ursprünglichen Grund sind wir abgekommen, weitere Ebenen haben sich aufgetan und als Seiten-heilerfolg sind meine Periodenschmerzen verschwunden. Ich empfehle sie ab und zu weiter. Und wie es immer so ist: die einen sind begeistert, anderen bringt es nichts. Völlig normal. Jeder Mensch ist anders, jeder Mensch braucht etwas anderes, und niemand immer das gleiche während seines ganzen Lebens.
Naturheilkunde vermag auf diese Einzigartigkeit, die Vielfalt und die permanente Entwicklung von uns Menschen wesentlich besser einzugehen als die Schema-F-Vorgehensweise der Schulmedizin. Deswegen ist es auch nicht schlimm sondern normal, wenn es Patient*innen gibt, die nicht wiederkommen, denen man nicht helfen kann. Besser, damit ehrlich und offen umzugehen, als sich und den anderen in die Tasche zu lügen und weiterzumachen, obwohl man nicht weiter weiß.
Schließlich noch eine Sache: niemand ist gezwungen, naturheilkundliche Verfahren anzuwenden. Bleibt bei der Schulmedizin, wenn ihr den Eindruck habt, dass sie euch hilft. Entscheidet selbst, aber trefft eure Entscheidungen bitte auch informiert. Seid mündige Patient*innen. Hört auf euren Körper und wechselt Ärzt*in, Heilpraktiker*in oder Behandlungsart, wenn ihr merkt, es passt nicht. Das Tragische an dem Beispiel aus dem TAZ-Artikel ist doch, dass die Frau so wenig auf ihre Körper hört und das heftige Symptom der andauernden Blutungen übergeht, weil sie blind auf die vermeintliche Expertise der Ärztin vertraut (die noch dazu einfach keine vernünftige Anamnese macht und die Frau von oben herab behandelt. Das hat nichts mit Homöopathie zu tun, das ist einfach schlechte Praxis. Im Gegenteil, klassische Homöopathie macht die genauste Anamnese, die ich je gesehen habe. Also schlechte Ärztin UND schlechte Homöopathin. Davor ist man nie gefeit. Es gibt keine Garantien und keine Perfektion. Keine Kontrolle und kein Auswahlverfahren der Welt kann das ändern. Aber man kann bessere Bedingungen für das Heilen schaffen. Das ist Gesellschaftspolitik!)
Also, macht was ihr wollt, aber passt auf euch auf. Und schreibt mir nicht vor, was bei mir wirkt und was nicht, oder was ich anwenden darf und was nicht. Ich lass euch ja auch eure Chemie.