Kopfarbeit, Handarbeit, Muschiarbeit?

Von Sexarbeit, Prohibition und sexueller Befreiung.

Am Rande einer Demo des Strassburger Noborder-Camps, es muss im Jahr 2002 gewesen sein, fragte mich ein Passant, was ich denn »davon« halten würde und zeigte auf eine Prostituierte, die in einer Haltebucht am Strassenrand unweit unserer Demonstration stand.
Das sei, erklärte ich ihm in miserablen Resten meines Schulfranzösisch, Ausdruck des Patriarchats und somit ein gesellschaftliches Problem.

Damals war ich eine frischgebackene anarchistische Aktivistin, die den Feminismus entdeckte, und ganz klar für die Abschaffung von Prostitution. Allerdings war damals schon meine Position etwas differenzierter als die vieler heutiger Fans des sogenannten»«Schwedischen Modells« und anderer Ideen zum Verbot der Prostitution: als gute Anarchistin war ich natürlich gegen Verbote und für die Abschaffung von Herrschaftsverhältnissen, also auch dem Patriarchat. Das war nicht den Individuen anzulasten, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.

Nur dass mich hier niemand falsch versteht: ich bin selbstredend immer noch für die Abschaffung sämtlicher Herrschaftsverhältnisse und also auch des Patriarchats, mein Verhältnis zur sogenannten Prostitution hat sich jedoch verändert. Das hat unter Anderem damit zu tun, dass sich mein Bild dessen, was das eigentlich ist, durch  Kontakt und Information im Laufe der Zeit geändert hat:

Von Prohibitionismus zu Befreiung
Die anarchafeministische Aktivistin hörte recht bald davon, dass es da in den USA eine Bewegung von Huren gäbe, die sich selbst Sexarbeiter*innen nannten und sich gegen die Dämonisierung und Kriminalisierung ihrer Arbeit wehrten. Ich hielt das für einen typischen Ausdruck neoliberaler Subjekte, die ihre eigene Ausbeutung auch noch feiern und tat es als komischen Ami-kram ab. Ein kleiner Keim des Zweifels war jedoch gesät: wenn die »Betroffenen« selber für die Anerkennung ihrer Arbeit als Beruf kämpfen und sich nicht als ausgebeutet empfinden – vielleicht konnte man das nicht so einfach ignorieren? Musste man nicht die Selbstorganisierung und Selbstermächtigung Unterdrückter und Ausgebeuteter unterstützen?

Jahre später fiel mir auf dem Ladyfest in Köln das wunderbare Buch »SexArbeit« in die Hände, eigentlich Katalog einer Ausstellung des Hamburger »Museums für Arbeit« zum Thema Prostitution. Dieser dicke und nur noch antiquarisch erhältliche »Schinken« versammelt Geschichten und Berichte verschiedener Akteur*innen in diesem Bereich und bietet einen weder romantisierenden noch dämonisierenden Einblick in eine Arbeit, die manche eben betreiben. Nur dass sie unter besonderen Vorzeichen stattfindet: der gesellschaftlichen Tabuisierung und Stimatisierung und der gesetzlichen Regulierung bis hin zur Kriminalisierung .

Ich las den Katalog und kaufte mir daraufhin sämtliche Bücher, derer ich habhaft werden konnte, darunter den Escort Coach »Warum Männer 2000 Euro für eine Nacht zahlen« von Vanessa Eden und »Sexarbeit – eine Welt für sich« aus der Edition Freitag. Eine australische Couchsurferin, die in unserer WG übernachtete, empfahl mir den  Dokumentarfilm »Scarlet Road« (ich empfehle ihn hiermit weiter). Sie selbst hatte jahrelang in Melbourne in verschiedenen Bordellen gearbeitet, darunter einem selbstverwalteten, und war kurz zuvor in Berlin auf dem Straßenstrich vergewaltigt worden. Sie konnte glücklicherweise gut für sich sorgen und wurde von ihrem Umfeld aufgefangen, so dass sie halbwegs unbeschädigt blieb. Trotz dieser Gewalterfahruung sprach sie nach wie vor mit Begeisterung von ihrem Beruf und vor allem davon, was sie alles gelernt und wie positiv er sie verändert hätte, zum Beispiel in Bezug auf Fatphobia, dem Ekel von korpulenten Menschen, den sie nun abgelegt hatte. Was mich wiederum an eine neuseeländische Freundin erinnerte, die sich ihre Umsiedlung nach Europa in neuseeländischen Puffs verdient hat und auch hier weiter als Sexworkerin tätig war (oder ist? wir haben keinen Kontakt mehr). Ich hatte sie in Neuseeland als kleine, hagere Frau kennengelernt, die nicht viel sprach und schüchtern und zerbrechlich wirkte. Als wir uns in Europa wiedersahen, war sie kaum wiederzuerkennen. Die Sexarbeit hatte ihr eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein verschafft. Aus ihrem Tagebuch hat sie ein kleines Zine gefertigt, sowie einen Artikel für die Berliner Zeitschrift Sul Serio verfasst. Darin beschreibt sie, wie gut es ihr getan hat, ihre Grenzen zu erweitern, mit Dominanz zu spielen und was für unterschiedliche Menschen sie als Kunden kennengelernt hat. Es gibt Sachen, die sie an ihrem Beruf mag (z.B. einem Kunden, der Polizist ist, ins Gesicht pinkeln) und andere, die sie nerven (z.B. nett zu Kapitalisten sein müssen und lieblose Bordelle).

Sollte Sexarbeit also tatsächlich sein wie jede andere Arbeit?
Aus meiner langjährigen Betrachtung von außen – denn ausgeübt habe ich sie selber nie, auch wenn ich manches Mal darüber nachdachte, wenn ich meine finanzielle Prekarität satt hatte – würde ich sagen: jein.

Einerseits ist es eine Art körperlicher Arbeit, wie beispielsweise auch Bauarbeit. Physisch anstrengend, deswegen machen es nicht viele bis zur Rente, es gibt in der Branche unterschiedliche Arbeitsbedingungen inklusive mafiöser Strukturen, Menschenhandel und Sklavenarbeit (die hier wie da verboten sind und gegen die Menschenrechte verstoßen, egal welches Metier), während anderswo gut bezahlt wird und man recht schnell viel Geld verdienen kann. Es wird überall auf der Welt gebraucht und es gibt reisende Handwerker*innen. Die, die sich selbstständig machen und spezialisieren, können daraus einen interessanten Job machen, der sogar erfüllend ist.

Andererseits hat sexueller Körperkontakt noch andere Dimensionen, die auf dem Bau oder auch in der Fabrik, im Büro oder in der Gastronomie nicht unbedingt vorkommen. Das ist die Nähe zwischen den Beteiligten, die Intensität der Emotionen, die dabei erlebt werden (positiv wie negativ), die Intimität ansonsten geheimgehaltener Gelüste und Probleme etc. Sexualität ist eine sehr machtvolle Energie, die daher genauso stark heilend (genutzt im Tantra z.B.) wie stark zerstörend (Trauma durch Übergriffe) wirken kann. Das heißt, dass selbstbestimmte Sexarbeit, die bewusst mit dieser Energie umgeht, auf die Arbeitenden und auf die Kund*innen eine heilende Wirkung haben kann. Und es heißt, dass unfreiwillig oder unter (ökonomischen) Zwängen oder Notwendigkeiten ausgeübte Sexarbeit für die Arbeitenden extrem zerstörerisch sein kann, und zwar um die Intensität dieser speziellen Energie zerstörerischer als Sklavenarbeit auf dem Bau oder ein frustrierender Kellner*innenjob.

Ist das nicht alles nur konstruiert?
Man könnte argumentieren, dass der Unterschied zwischen Hand und Muschi ein konstruierter ist. Dass es mithin unsere Gesellschaft ist, die den einen Körperbereich mit einem speziellen Tabu und einer besonderen Bedeutung auflädt, während der andere als banal und alltäglich gilt. Dass also Muschiarbeit eben Arbeit ist und Punkt, man müsse nur diese besondere Bedeutung dekonstruieren und sich bewusst machen, dann wäre ein öder oder anstrengender Hurenjob auch nicht öder oder anstrengender als Teller waschen oder Beton gießen. Das ist bis zu einem bestimmten Punkt insofern richtig, als unsere Sexualorgane in allen Gesellschaften mit verschiedenen, sehr starken Bedeutungen verknüpft werden, die bis zum Tabu gehen, und dass es Gesellschaften gibt, denen Körperteile als sexuell gelten, die andere überhaupt nicht als solche betrachten (diese ganze Verhüllungsdebatte). Und das zeigt sich an der vehementen Aufklärungs- und Reflexionsresistenz der Verfechter*innen der Prohibition, denen die gleichen Misstände in anderen Branchen keine Erwähnung wert sind. Es ist ihnen schlicht unvorstellbar, dass Muschiarbeit selbstbestimmt sein kann – was mehr überihre eigenen Probleme sagt als über die Realität eines Gewerbes.

Doch die Parallele endet bei dem, was ich oben Intensität und Wirkung der sexuellen Energie genannt habe. Ficken ist eben nicht mörteln oder Teller waschen. Ein Orgasmus ist etwas anderes als eine gelungene Dachkonstruktion.

Hier liegt eine enorme Chance von legalisierter und ent-stigmatisierter Sexarbeit. Während es Sklaverei, Menschenhandel, Zwangsarbeit und Vergewaltigung überall zu bekämpfen gilt (und sie ohne spezielle Gesetze überall gleich verboten sind), könnte freie, selbstbestimmte Sexarbeit zu sexueller Heilung beitragen, indem sie unser Verhältnis zu unseren Körpern und unserer Sexualität entkrampft; indem sie in die Sexualität einführt, aufklärt und bildet (Stichwort Vielfalt, Gesundheit, Praktiken), Menschen dabei begleitet, ihre Sexualität zu erforschen (Stichwort Tantra u.a.) und Menschen mit besonderen Bedürfnissen oder in besonderen Lebenslagen überhaupt die Auslebung ihrer Sexualität ermöglicht (Stichwort Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderungen, in Altersheimen, aber auch BDSM etc). Je mehr wir davon ermöglichen, desto weniger muss es von der zerstörerischen Variante geben, und je offener wir damit umgehen, desto leichter lässt sich diese bekämpfen.

Wenn wir aber mit dem »schwedischen« oder einem anderen prohibitonistischen Modell die Sexarbeit wieder in einen illegalisierten Raum sperren, gefährden wir nicht nur die Unversehrtheit der Sexarbeitenden (die es weiterhin geben wird, alles andere ist pures Wunschdenken) durch das dann nötige Versteckspiel und die Aufrechterhaltung des Stimgas (Stigma kills!), sondern verhindern wir auch unsere eigene sexuelle Enwicklung als Gesellschaft und berauben uns letztlich sexueller Heilungsmöglichkeiten – dabei haben wir diese bitter nötig!

Und zur Frage der Abschaffung des Patriarchats: wie sich Sexualität entwickelt, wenn es keine Genderherrschaft und keine Martkgesellschaft gibt, lässt sich hier und heute nicht sagen. Wird es weiter Menschen geben, deren besondere Aufgabe die sexuelle Unterstützung anderer ist, einfach weil sie das gerne machen und gut können? Etwa so wie es auch Heiler*innen gibt oder Mediator*innen? Vielleicht. Keine Ahnung wie sich überhaupt das ganze Konzept »Beruf« dann entwickelt. Möglicherweise de-institutionalisieren sich Dinge und alle werden besser darin, sich gegenseitig zu begleiten. Das lässt sich von hier und heute aus nicht bestimmen. Also ist die Frage, was hier und heute mehr Befreiung und mehr Entfaltung birgt. Und das sind nicht Tabus, Verbote und Strafen, sondern (sexuell) empowerte Menschen und eine offene Kommunikations- und Konfliktkultur – beim Sex und in anderen Lebenslagen.

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