Karussell oder Sackgasse: das Ende der Zukunft.

Sich nicht mehr vorstellen können, dass eine andere Welt tatsächlich möglich ist, wie der trotzige Slogan lautete, der noch 2001 bei den Protesten in Genua in aller Munde war, blockiert das Handeln und macht mutlos. Heutzutage sei es uns eher möglich, das Ende der Welt denn das Ende des Kapitalismus zu denken, soll Slavoj Žižek gesagt haben.

Unter solchen Bedingungen ist es besonders schwer, an einer Politik festzuhalten, die das Andere will und an die reale Möglichkeit dessen Umsetzung zu glauben. Mithin: Ohne Zukunft ist das Laben für alle bloß ein Überleben und das Dabeibleiben wird besonders schwer.

Warum aber ist uns die Zukunft abhanden gekommen und wo kriegen wir eine neue her?

David Graeber schreibt in »Hope in Common«:

»We seem to have reached an impasse. Capitalism as we know it appears to be coming apart. But as financial institutions stagger and crumble, there is no obvious alternative. (…) Faced with the prospect, the reaction is often fear, to cling to capitalism, because one simply can’t imagine an alternative that wouldn’t be even worse. (…)
Hopelessness isn’t natural. It needs to be produced. If we really want to understand this situation, we have to begin by understanding that the last thirty years have seen the construction of a vast bureaucratic apparatus for the creation and maintenance of hopelessness, a kind of giant machine that ist designed, first and foremost, to destroy any sense of possible future alternatives.«

Die Frage nach dem Ursprung der Hoffnungslosigkeit stellt sich auch Hans-Christian Dany in seinen beiden Büchern »Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft« und »Schneller als die Sonne. Aus dem rasenden Stillstand in eine unbekannte Zukunft
Zusammengefasst ist seine These, die sich stark auf Theorien der Kybernetik stützt, folgende: Die Zukunft wurde, weil unkontrollierbar, ersetzt durch Vorhersagen, die mathematisch aus der Vergangenheit hergeleitet werden und nichts als Varianten recycelter Gegenwart sind. Die Menschen sind Punkte in diesem netzartigen System, das im übrigen versucht, homöostatisch (selbststabilisierend) zu funktionieren: Störungen werden als sich einverleibt und alles tendiert zur stabilen Ausgangslage. Zuweilen sind Störungen sogar nötig, um dem Kreiseln der Ausgleichsmaschine neue Energie zu zuführen, da sie sonst zum Stillstand tendiert. Man könnte auch sagen: sich selbst verspeist. So soll das Kommende kontrolliert werden. Die Zeitspannen sind dabei äußerst gering: von gerade eben wird nur bis jetzt gleich gedacht. Diese Maschine ist ein Karussell:

»…jener verführerischen Kraft des Kapitalismus, den Eindruck zu hinterlassen, man sei in einem Zustand der Ewigkeit, in dem es keine Alternative mehr gibt. Es hört nicht mehr auf, das Karussell dreht sich immer weiter und vermittelt den auf ihm Überlebenden den Eindruck, jedes Ende hinter sich gelassen zu haben. Gehüllt in Ewigkeit entsteht ein Paralleluniversum, das schon längst gestorben sein müsste. Der Tod löst sich in ein Ornament auf, in dem sich das Sein mit Freiheit verwechselt.« (Schneller als die Sonne, S.63)

und

»Ab einem bestimmten Zeitpunkt fuhr der Kapitalismus im Kreis, um nicht in den Wandel hinüberzutreten, der zu seiner Auflösung führen könnte. Alles läuft vor dem Abgang im Kreis, um diesen aufzuschieben. (…)
In der Steuerung des Gefüges verschränken sich die Ausgleichsmaschinen mit der ständigen Ermittlung kurzfristiger Wahrscheinlichkeiten. Anstelle eines unbekannt Zukünftigen werden Varianten der Vergangenheit hergestellt. Zahllose Agenturen betrachten das Verhalten der jüngsten Vergangenheit und ermitteln daraus fiktive Trends, die das Geschehene als Prognose vorwegnehmen. Das unbekannte Kommende wird durch die mathematische Annahme einer Berechenbarkeit der Welt überblendet.
(Schneller als die Sonne, S.70/71)

Dabei geht es natürlich um Big Data. Daten sind die Grundlage der Kontrolle von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aber sie sind eindimensional und selbstreferentiell. Ihre Beschränktheit ist bekannt, deswegen will die Maschine immer mehr Information und immer bessere Algorithmen, um daraus irgendwelchen Sinn zu schöpfen. Diese kybernetischen, maschinellen Funktionsweisen sind über Managementtechniken in unseren Alltag gekrochen. Alle müssen ständig über alles reden, über ihr Innerstes Auskunft geben, Feedback erhalten und sich selbst optimieren. Dieses Paradigma der Beichte, der Biopolitik hat bereits Michel Foucault, auf den sich Dany auch bezieht, analysiert. Wir tragen so selbst und freiwillig zum Raub an unserer Zukunft bei:

»Die Selbstüberprüfung der dauernden Evaluation weist das unbekannte Neue ab, da seine nur verzögert einlesbare Abweichung für die Mustererkennung der selbstbezüglichen Kommunikation zu beschwerlich scheint. An die Stelle des Neuen, das sich zu schwer lenken lässt, treten die Fiktionen der Prognosen einer nahen Zukunft, die als vorhandenes Muster umgehend wiedererkannt werden können. (…) Statt den Aufwand zu wagen, sich mit der zukünftigen Gegenwart zu konfrontieren, die als Muster nicht bekannt ist, hält sich die mögliche Bewegung an einer gegenwärtigen Zukunft fest, die aus dem Datenstrom des gerade Vergangenen errechnet wurde. An der Stelle einer Fülle des Kommenden, wird die mathematische Fortsetzung des Vergangenen behauptet. Projekte wie Big Data reduzieren die Komplexität des Wirklichen durch eine verschlankte Mischung aus den ermittelten Wünschen und der statistischen Kausalität des Geschehenen. (…)
Dass bei dieser laufenden Reduktion von Komplexität der Eindruck entsteht, es käme zu einem Mehr oder zu Beschleunigung, ist eine Täuschung der entstehenden Redundanz. Sie resultiert aus den Überschüssen der Produktion, zu denen es durch den freien Wettbewerb der zahllosen Prognose-agenturen kommt. Dieser führt zu Unschärfen, leichten Verschiebungen und Doppelbelichtungen, die einen Eindruck von Vielfalt hinterlassen, dem keine Wirklichkeit gegenübersteht.«
(Schneller als die Sonne, S. 86-87)

Wie kommt man als Karussell-insasse nun raus aus dem Schlamassel? Sprich: welche Form von Widerstand ist noch möglich, wenn seine Energie vom großen Homöostaten einverleibt wird, ja sogar gebraucht, benutzt wird um sich zu erneuern, damit genau alles bleibt wie es ist? Im ersten Buch bringt Dany Herman Melvilles Figur des Bartleby ins Spiel, der mit seinem Satz »I would prefer not to« für eine passive Form des Widerstands, der Verweigerung, des Nicht-mehr Mitmachens steht. Wenn alles einverleibt wird, wenn jede Aktion das Leben des Systems nur verlängert, dann bleibt nur das zu tun, womit das auf Aktion, Produktion und Kommunikation angewiesene System nicht klarkommt: nichts tun. Vielleicht ist das Nichts-tun genau deswegen das größte Tabu, löst ebenso den größten Volkszorn wie die schlimmsten Schuldgefühle im Individuum aus. Ein Plädoyer für ein Experimentieren mit dieser Form von Streik haben Haus Bartleby mit Sag alles ab! veröffentlicht. Mir blieb nach der Lektüre, die wirklich sehr inspirierend und unterhaltsam ist, ein Satz im Kopf hängen, den eine Interviewpartnerin in meinem Buch sagt: Wie machst Du das mit dem Geld? Darüber wird nicht gesprochen, und solange das nicht geklärt ist, verhallen die Aufrufe von Haus Bartleby im Wind.
Und das zweite: individuell geht es nicht. Wenn ich einfach für mich beschließe, nicht mehr mitzumachen, mich aus dem Cyberspace und der Lohnarbeit zu verabschieden, habe ich danach vermutlich einfach nur ein materiell elendes Leben, und keine prächtige Zukunft. Es muss also kollektiv organisiert sein. Vielleicht haben sich die Progatonist_innen von Haus Bartleby ja deswegen zusammengetan. Wie sie das aber lösen, mit dem Geld, mit dem finanziellen oder materiellen Überleben im »lebenslangen Generalstreik«, das sagen sie nicht.

Im zweiten Buch geht Dany über diese Idee hinaus. Er versucht vielmehr, Wege aufzuspüren, die innerhalb des Karussells ein Darüber-hinaus-Denken möglich machen. Er experimentiert mit verschiedenen Kunst- und Philosophieansätzen, die aber letztlich meist nicht weit genug gehen, da sie am Ende aus Angst vor dem Ungewissen wieder alte Herangehensweisen aus dem Hut zaubern.
Dany will weiter. Wenn die Zukunft unvorstellbar geworden ist, dann müssen wir zum Undenkbaren hin, und weil man das nicht denken kann, kommt es darauf an, sich darauf einzulassen. Wenn die Zukunft durch die Prognose ersetzt wurde, dann müssen wir sie als Zufall, vielleicht als Unfall akzeptieren, heißt auch: wir müssen vertrauen. Wenn sie durch Planung abhanden kommt, dann müssen wir uns auf sie zu bewegen, aber da sie nicht verortbar ist, geht es darum, sich schlicht überhaupt zu bewegen. Bisher bewegt sich ja nur das Karussell, nicht aber wir. Wir sitzen starr, misstrauisch und ängstlich auf den Pferdchen oder Feuerwehrautos und wenn wir nach draußen schauen, wird uns schwindelig. Draußen aber, da ist die Zukunft. Und dass einem schwindelig wird, darf keine Angst machen, sondern Neugier. Der Fall wird nicht so schlimm sein, die Geschwindigkeit ist nur simuliert.

Was das nun heißt für Emma Normalaktivistin? Erstens: weder ich noch sonst jemand hat das individuell zu beantworten. Beantwortet wird diese Frage erstens kollektiv und zweitens durch Bewegung – im Kopf und in den Beinen.
Zweitens, das mindeste, was man sich daraus ziehen kann, ist etwas, das subkulturellen Linksradikalen gerne verloren geht: Neugier und ein offenes Denken. Vielleicht das Eingeständnis, das Mehr vom Gleichen, das seit ca 150 Jahren nicht zur kollektiven Befreiung des Lebens geführt hat, keine Perspektive ist. Vielleicht die Erkenntnis, dass die Vergangenheit Inspirationen bergen kann, dass man aber den postmodernen hyperaktiven Kapitalismus nicht mit Methoden von vor hundert Jahren zu Fall bringen kann. Danys Überlegungen haben mich oft an Denkfiguren aus dem asiatischen Raum erinnert. Man müsste es mit François Juliens »Umweg über China« überblenden. Möglicherweise lässt sich der logisch-mathematisch-abendländische Kapitalismus ja mit chinesischem Denken aushebeln. Mir wäre alles Recht. Des Problem ist eher das Desinteresse an kollektiver Diskussion und der eklatante Bildungsmangel unter den durchakademisierten jüngeren Linken. (Information ist nicht Bildung, sie ist das Gegenteil davon und Teil der großen Show.) Dafür brauchen wir Zeit, und die könnten wir gewinnen, wenn wir der Geschwindigkeitsbehauptung der Gegenwart nicht mehr auf den Leim gehen. Laut Dany wird seit ca 40 Jahren alles immer langsamer, statt Innovation gibt es nur mehr Varianten vom Gleichen, Geschwindigkeit wird auf technischer Ebene produziert, um den tatsächlich stattfindenden sozialen, ökonomischen und technologischen Stillstand zu cachieren. Und Zeit, sagte mein Automechaniker immer, die hat man nicht, die muss man sich nehmen.

Eine Antwort zu “Karussell oder Sackgasse: das Ende der Zukunft.

  1. Sleeper in a Jar sagt:

    Die jüngeren, durchakademisierten Linken einer jeden Generation der deutschen Linken nach 68, waren schon immer genau dies: informierte Wissens- und Faktenhuber ohne Bildung (wenn man Bildung als Verknüpfung von Wissen, Praxis/Leben und Reflexion versteht). Das ist kein neues Phänomen. Der neue Linke in Deutschland ist ja eben nicht aus sozialen Kämpfen des Proletariats hervorgegangen, sondern aus Protesten einer kleinen, ihrer Herkunft nach meist bürgerlichen Elite: der Studentenbewegung. Die wenigen Reste einer proletarischen Linken, die den NS im wahrsten Sinne des Wortes überlebt hatten, wurden mit der postfaschistischen Restauration der Nachkriegszeit endgültig marginalisiert. Die neue Linke nach 68 hatte somit immer nur den eigenen akademischen Elfenbeinturm als Bezugsrahmen. Man kannte zwar Marx und Marcuse auswendig, aber vom Leben der idealisierten Träger der Revolution hielt man sich zumeist lieber fern. Bildung als Ausdruck und Resultat von Lebensverbundenheit war insofern bei den jeweiligen jüngeren Linken immer schon eher selten anzutreffen. Ich selber (50+) war da zu meiner Zeit keinen Deut besser als viele andere, die ich gekannt habe. Von nichts eine wirkliche Ahnung, aber immer informiert über alle möglichen innerlinken Diskussionen. Und natürlich auch immer eine Position dazu. 😉

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