Gipfelproteste – das gleiche Theaterstück seit Jahrzehnten

Meine Antwort an diejenigen, die meinen, sich jetzt nach #G20HH entsolidarisieren, distanzieren und denunzieren zu müssen.

Leute,

ihr habt echt den falschen Fokus.

Ich bin sicherlich kein Fan von dem was passiert ist und habe meine Kritik hier schon niedergeschrieben.
Aber.
Man muss auch sagen (ich wohne halb in Frankreich), dass das in vielen anderen Ländern die Leute kaum juckt. 25 abgefackelte Autos? Das hat man ungefähr täglich in Frankreich. Brennende Barrikaden? Ihr solltet mal belgische Gewerkschafter*innen sehen, wenn sie streiken. (Siehe auch meinen anderen Blogbeitrag mit Bildern hierzu)
Angesichts des Events und der Polizeibrutalität hätte es noch ganz anders knallen können. So ist es für südeuropäische, ja sogar belgische Verhältnisse doch eher ein „riotchen“ gewesen, das hier nicht mal groß die Medien interessiert.
Mein französischer Freund sagte gerade, er finde das alle sehr lächerlich, sogar der Kampf um die Renten vor ein paar Jahren wäre hier heftiger abgegangen, aber man kenne das ja, die bürgerlichen Organisationen empören sich und „ils se trompent de l’énémie“, sie irren sich darin, wer der Feind ist.
Die Randale mag dumm sein, politisch orientierungslos, nicht zieldienlich und vieles andere, aber: vor Allem ist es keine „Gewalt“. Man kann einem Straßenschild oder einer Glasscheibe keine Gewalt antun. Gewalt kann man nur Lebewesen antun. Man nennt das Sachbeschädigung und das ist der entscheidende Unterschied.

Die Begriffsverwischung dient der Ablenkung von und Verharmlosung der echten Gewalt. Die ist in einem Ausmaß auf Seiten der Polizei passiert, wie ich es seit Genua nicht gesehen habe, und das ist der eigentliche Skandal. Und Gewalt ist das, was Trump, Erdogan, Putin, May, Macron, Merkel und co den Menschen antun. Schaut Euch die Bilder aus Kurdistan an, oder von russischen Demos. Oder die Gesetzgebung von Trump. Oder die Austeritätspolitik in Großbritannien. Das ist Gewalt. Menschen werden verstümmelt und getötet, ihre Leben werden zerstört, sie verhungern oder sterben an heilbaren Krankheiten, die Umwelt geht vor die Hunde. Die deutsche Abschiebepolitik, die Erpressung Griechenlands, der Betrieb von AKWs – Gewalt.
Auch, wie Prof. Albers von der Polizeihochschhule Münster in der SZ schrieb, geht ein Großteil der Eskalation auf das Konto der Polizei, man lehre für solche Events seit Jahren eine andere Einsatzstrategie und er wisse auch nicht, was in seinen ehemaligen Schüler Dudde gefahren sei.

Jede*r, der*die vor Ort war, konnte es spüren: Seit Dienstag haben sie konstant an der Eskalationsschraube gedreht. Das heißt, sie wollten diese Bilder. Ob man dann so doof sein muss, darauf einzusteigen, steht auf einem anderen Blatt.

Das ist für mich das Traurige an der ganzen Nummer: Alle erfüllen ihre Rolle, es ist seit Jahrzehnten das immer gleiche Ritual: Die Polizei spielt den Bluthund des Kapitals und schützt einen Haufen Despoten, Kriegsverbrecher und andere Machthaber*innen und deren Entourage, damit die sich für die nächsten Kapitalverwaltungsmaßnahen verabreden können. Die Protestieren spielen das Festival der Demokratie, die Militanten liefern der Polizei (von selbst oder auf Provokation hin) die Randale, mit der sie ihre Gewalt rechtfertigen können, die Medien spielen die geilen Voyeur*innen, die davon nicht genug bekommen (während sie sich gleichzeitig in den Chor einstimmen, dass man vom friedlichen Protest ja nichts mitbekomme…!). Danach spielen die bürgerlichen Organisationen die Entsetzten und die Politik zerrt Nazivergleiche aus der Mottenkiste.

Sad!

Hat sich eigentlich irgendwas geändert durch solche Spektakel? I doubt it.

Ah doch. Die Grundrechte werden immer weiter abgebaut und die Repressionsschraube weitergedreht.

Boah, ihr langweilt mich alle so. Von Trump über Dudde, „die Autonomen“ und „…Ums Ganze!“ bis Campact, alle haben ihre vorhersehbare Rolle gespielt. Und das geilste ist: alle sind sich einig, dass sie keinen Fehler gemacht haben und die anderen doof sind. Man badet sich, wohlgemerkt jede*r in seiner/ihrer eigenen Wanne, in Selbstgewissheit. Ein bisschen mehr Zweifel, ein bisschen mehr Selbstkritik würde keiner der Akteur*innen schaden.

Wollen wir vielleicht mal alle zusammen aus dieser beknackten Logik austeigen? Dankeschön.

 

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