Was nun, Köln?

Heute ist es zwei Wochen her, dass das Outing einer Person als «Täter» durch die IL letzten Sommer als unbegründet beanstandet wurde, da die vorgelegten Beweise einer Überprüfung nicht standhielten, sich vielmehr als Fälschungen herausstellten. Seitdem schweigt die IL, sowohl in Köln, als auch bundesweit. Und Schweigen ist auch im Walde der linken Szene.

Was der IL die Sprache verschlägt, lässt sich nur vermuten. Möglicherweise ist ihnen hier etwas über den Kopf gewachsen und jetzt weiß niemand, wie damit umgehen und keine:r will Verantwortung übernehmen, sich exponieren. Das ist menschlich nachvollziehbar, aber nicht akzeptabel. Ihr werdet schon in den sauren Apfel beißen und Euch äußern müssen, es gibt sehr viele Fragen, Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten zu klären, und wie es aussieht, auch Fehler einzuräumen und zu bedauern. Transparenz darüber, warum was wie entschieden wurde, was Euer Kenntnisstand ist, ist dringend nötig. Ihr lasst hier massiv Menschen im Stich. Das geht mit linker Politik nicht zusammen.

Ich kann mir vorstellen, dass es für das Schweigen des Szenewalds mehrere Gründe gibt. Neben Angst vor moralischer Verurteilung mag auch Schock und Ratlosigkeit eine Rolle spielen. Das ist verständlich, denn, wie man es auch dreht und wendet, es ist schwer, diesen Vorgängen einen Sinn abzugewinnen. Für manche mag es auch schwer sein, die Möglichkeit der Fälschung, der wahrscheinlichen Intrige, an sich heranzulassen – sei es, weil es dem eigenen Glaubenssatz widerspricht, dass Betroffene nicht lügen und der Fall somit das Worst Case Szenario ist, das einfach nicht wahr sein darf. Sei es, weil in der eigenen Matrix das Verhalten der IL Konsequenzen nach sich ziehen muss, die man ihr und sich, weil es schmerzhaft wäre, nicht zumuten will. Also lieber den Kopf in den Sand stecken und das offensichtliche nicht glauben. Das geht so natürlich auch nicht, das dürfte klar sein.

Mein Vorschlag wäre, einen konstruktiven Weg zu suchen, am besten mit der IL, aber wenn sie weiter abblockt und schweigt, dann ohne sie. Einen Weg, bei dem man einander anhört, sich ausspricht und das Handeln sich an der Sorge für die Community und ihre Mitglieder orientiert. Zunächst braucht es Klarheit über die Vorgänge. Dann müssen Fehler eingestanden und aufgearbeitet werden, Verantwortung übernommen und Schaden wiedergutgemacht werden. Beziehungen sind belastet und müssen geheilt werden. Vertrauen wurde zerstört, es muss wieder aufgebaut werden. Das bedarf einer offenen, ehrlichen und zukunftsorientierten Auseinandersetzung, in der niemand als entbehrlich zurückgelassen wird.
Keine Politzockerei, keine Taktiererei, kein Rumcheckern.

Ehrlich bedeutet auch, sich einzugestehen, dass die ganze Umgangsweise mit sexualisierter und sexistischer Gewalt in linken Kreisen auf einen solchen Fall zugesteuert ist. Einerseits können sich hier Cis-Männer an der eigenen Nase packen, in der Vergangenheit ähnliche Vorgänge mitunterstützt zu haben (in der Hoffnung, es treffe einen selber nicht) und gleichzeitig nichts zu tun, um gegen toxische Männlichkeit bei sich selbst und anderen zu arbeiten und somit solche Vorgänge seltener und unnötiger zu machen. Andererseits ist der Feminismus aufgerufen, sich auf ein strafabolitionistisches Fundament zu stellen. Die Szene insgesamt darf ihre Praxis der (konsequenzlosen) Skandalisierung von Einzelfällen aufgeben, die seit Jahrzehnten zu keinerlei Veränderung geführt hat.

DIes ist der Moment, um sich darüber zu verständigen, wie man miteinander umgehen will. Wie Menschen wirklich vor sexualisierter Gewalt geschützt werden, wie Opferschutz und Beschuldigtenrechte miteinander in Einklang gebracht werden können, was Definitionsmacht und kollektive Verantwortung bedeuten. Betroffene müssen darauf vertrauen können, ernstgenommen und unterstützt zu werden, Beschuldigte müssen darauf vertrauen können, dass ihre Persönlichkeitsrechte gewahrt werden. Dies ist der Moment, um zu begreifen, dass Feminismus und Strafabolitionismus keine Gegensätze sein müssen, sondern einander verstärken können. Es ist der Moment, um zu begreifen, dass die Exkulsion von Tatverantwortlichen als einzige Reaktion unzulänglich und unehrlich ist, weil es nur eine Externalisierung ist, die der Rückversicherung der eigenen «Unschuld» und des eigenen «Gutseins» dient, anstatt etwas zu verändern oder gar, wie so oft behauptet, Opfer zu schützen. Es ist der Moment, um sich ein tiefes Verständnis von Gewalt, Opferwerdung und Täter:innenschaft anzueignen, es ist der Moment, andere Umgangsweisen mit schmerzhaftem Geschehenen zu lernen. Es gibt die Chance, etwas schreckliches in etwas sinnvolles zu verwandeln, die Scherben aufzulesen und zu einer neuen Form zusammenzusetzen.

Abolition.Feminism.Now!

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