Nachtrag aus Hannover

Immer wieder schön, Orte zu besuchen, wo so viele Menschen (fast 70!) zusammen leben – und dann noch in so einem schönen Gebäude wie der alten Schule von „Stadtteilleben Linden“, das zum Mietshäusersyndikat gehört.

Es ging an diesem Abend (mal wieder) viel um Subkultur. Ich halte die Verankerung der Linken dort mittlerweile für einen ziemlich schweren Fehler. Darauf kam ich auch heute morgen mit einem Genossen aus Rotenburg/Wümme zu sprechen, der mir davon erzählte, wie in Orten in der Umgebung rechte und faschistische Milieus Fuß fassen, „weil es ihnen viel leichter fällt, sich am Leben der anderen Leute zu beteiligen, z.B. an der Freiwilligen Feuerwehr und ähnlichem.“

Es gibt aber gar keinen objektiven Widerspruch zwischen linkem Bewusstsein und dem Engagement in der Feuerwehr, es gibt nur einen zwischen subkultureller Abgrenzung, die auch eine gewissen Konfliktunfähigkeit pflegt und daher die Auseinandersetzung mit andersdenkenden scheut, und Institutionen wie einer „Freiwilligen Feuerwehr“: sich mit den Leuten aus der Umgebung zu verbinden, ohne sich zu verbiegen, sondern Widerspruch zu äußern und trotzdem zusammen zu arbeiten: das wäre eine Haltung, die stark und autonom ist.

Außerdem hat mir die Stadt Hannover wirklich gut gefallen.

Eine Antwort zu “Nachtrag aus Hannover

  1. Zodiac Mindwarp sagt:

    My Home is my Fortress

    Raus aus der subkulturellen Nische, die mittlerweile eher eine Festung ist und als solche durchaus Ähnlichkeiten mit anderen Festungen, großen und kleinen, aufweist, ja, auf jeden Fall. Aber muss mensch deswegen gleich zum Jahresball der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr gehen? Ich sag mal „nein“…

    Den Versuch dahin zu gehen „wo die Leute sind“ hat es seitens der Linken (d.h. von Teilen der Linken) in den letzten 40, 50 Jahren ja durchaus gegeben. Zum Beispiel rein in die Betriebe oder rein in die Stadtteile (ich habe selber mal bei einem sozialen Träger gearbeitet, der aus so einer Initiative hervorgegangen ist), doch sind diese Versuche auf lange Sicht gesehen alle gescheitert. Ein Sich-Verbinden mit der „Normalbevölkerung“ ist nie wirklich gelungen, bestenfalls entstand eine Art temporärer „Burgfrieden“ zwischen linken Aktivist_innen hie und „Normalos“ da, ohne dass dies irgendwelchen Einfluss auf Denk- und Handlungsstrukturen der letzteren gehabt hätte. Man wurde als Linker als Exot toleriert, wobei diese Toleranz meist auf der Erfahrung des persönlichen Umgangs beruhte. So nach dem Motto: hat zwar lange / bunte Haare, aber mit anpacken kann er/sie ja. Und dann hat man sein Kreuzchen doch wieder bei der SPD gemacht oder ist nach Malle in den Urlaub geflogen. Der Anpassungsdruck, der meist stillschweigend (was nicht heißt, das er unkonkret ist und sich nicht auf verschiedenen Ebenen äußert), von der eben darum ja auch gerne so genannten schweigenden Mehrheit ausgeht, ist riesig. Und sobald dann auch noch Geld oder Geldwertes eine Rolle spielt (halbe Stelle für jemand in der Initiative über irgendeine Projektförderung, Freistellung von der Lohnarbeit als Betriebsrat), steigt dieser noch mehr und um äußeren Druck gesellt sich dann auch noch der innere Druck. Gehe ich als Gruppe / Initiative noch auf Konfrontation mit der Stadt, wenn mehrere Leute aus meinem direkten Umfeld davon wohlmöglich unmittelbar ökonomisch betroffen sind? Oder lehne ich mich als BR noch aus dem Fenster (z.B. strukturellen Sexismus im Betrieb), wenn ich dadurch Gefahr laufe nicht wiedergewählt zu werden, meine Freistellung zu verlieren und anschließend wieder Schichtarbeit machen zu müssen? Und über all dem steht natürlich erst einmal die Frage, ob die Leute, die mensch als Linke_r irgendwo abholen will, überhaupt abgeholt werden wollen?

    Eine ganz andere Frage, und da bin ich durchaus deiner Meinung, ist die nach der Zweifelhaftigkeit der subkulturellen Nische, die ich, wie eingangs gesagt, eher für eine Festung, eine Art „Gated Community“ halte, in der sich die Linke eingerichtet hat. Wie konnte es dazu kommen, dass aus Freiräumen, die mensch sich erkämpft hat, zunächst Nischen wurden und dann hieraus – ich muss zugeben, dass ich das dann nur noch aus zweiter und dritter Hand mitbekommen habe – diese seltsamen, auf Abgrenzung nach allen Seiten hin bedachten Mikrokosmen entstanden. Irgendwann musste mensch sich rechtfertigen, wenn man Fleisch aß (es gibt viele gute Gründe, es nicht zu tun, aber dies war auf einmal eine moralische Frage, und nicht, was es meines Erachtens sein sollte, eine politisch-ethische Frage oder schlichtweg des eigenen Wohlbefindens), mensch Schuhe aus Leder trug oder bei der Erstellung von Flugi-Texten einen „_“, statt einen „*“ (Genoss*innen vs. Genoss_innen vs. GenossInnen vs. Genoss/innen) gebrauchte. Ursprünglich haben Linke diese Freiräume schließlich mal erkämpft um dem „falschen Leben“ einen Hauch des „richtigen Lebens“ abzutrotzen, um am konkreten, selbst gelebten Leben aufzuzeigen, dass das Leben eben auch anders, besser und schöner sein könnte. Das heißt, das waren mal „unsere“ linken „Leuchtturmprojekte“. So war es zumindest mal gedacht. Freiräume im Sinne von offenen(!) Räumen und eben nicht als Nischen und Gated Communities linker, oftmals akademisierender Selbstbezüglichkeit und eines linken moralischen Rigorismus, der einen manchmal selbst evangelische Kirchentage als Orte enthemmter Libertinage erscheinen lässt.

    Raus aus der Nische kann daher meines Erachtens nicht heißen sich dem hoffnungslosen Unterfangen zu unterwerfen die örtliche Freiwillige Feuerwehr links zu politisieren, sondern die dicken Decken, die mensch vor die Fenster der eigenen Nischen gehängt hat, runterzureißen und daraus wieder offene Räume zu machen, wieder klar zu machen, dass „unsere“ Parties mehr Spaß machen, als der lokale Feuerwehrball, dass Akzeptanz und Solidarität nicht an – sorry – Kinkerlitzchen wie Essgewohnheiten oder dem richtigen Umgang mit den jeweils aktuellen innerlinken Normen zur schriftlichen Kenntlichmachung der Geschlechterdiversität abhängen, sondern am konkreten Menschen in seiner ganz konkreten Bedürftigkeit.

    Aber vielleicht ist es ja das, was die Linke in diesem Land größtenteils will. In der Nische bleiben. Nicht aus Mangel an Selbstbewusstsein, wie du anscheinend (wenn ich dich richtig verstehe) vermutest, sondern weil sie so keine Folgen zu befürchten hat, die Option irgendwann nach erfolgreichen Ausbildungsabschluss (in der Regel ja meist ein Studium) ins bürgerliche Leben einzusteigen, so erhalten bleibt. Man/frau wechselt dann halt nur die „Festung“ und die „Soft-Skills“, die mensch sich in linken Zusammenhängen angeeignet hat, sind in der heutigen Arbeitswelt schließlich gut zu gebrauchen.

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