In den Reaktionen auf die Europa- und Kommunalwahlen mischen sich Ratlosigkeit, Entsetzen und Hysterie über einen (vermeintlichen) Wahlerfolg rechtsextremer Parteien mit Hohn, Spott und Verachtung für die Dummköpfe und bösen Menschen, die solche Parteien wählen. Und dann immer wieder diese Frage: Woher kommt all der Hass?
Echt jetzt Leute? Woher kommt wohl all der Hass? Strengen wir mal unsere grauen Zellen an. Lesen wir ein bisschen zeitgenössiche Literatur oder ein paar Klassiker des Marxismus. Was die französische Situation angeht, so hat Didier Eribon in «Rückkehr nach Reims« alles notwendige dazu gesagt. Auch Eduard Louis‘ »Wer hat meinen Vater umgebracht?« zeichnet ein realistisches und vielsagendes Bild der Misere. Jahrzehnte einer Politik der Verachtung gegenüber den Armen, Ausgegrenzten, Abgehängten. Jahrzehnte der Kürzungen im Sozialbereich, Jahrzehnte, in denen die Löhne nicht stiegen während der Reichtum der Reichen ins Unermessliche wuchs und angeblich linke Regierungen dem nichts entgegensetzten oder es sogar noch befeuerten. Und Jahrzehnte, in denen die radikale Linke immer weniger dazu zu sagen hatte. In der sie mit ihren alten Antworten keinen Blumentopf mehr gewann, sich auf Metropolenpolitik, interne Grabenkämpfe und Diskurse über Sprachreinheit erging. Jahrzehnte auch der Verblödung. Unterdrückung macht ja nicht automatisch schlau. Die Konsumkultur vernebelt die Hirne. Schon Marx schriebe über die »Klasse an sich« und die »Klasse für sich«. Ja genau, Arbeiter*innen können sich horndoof verhalten, ihre objektiven Interessen nicht erkennen und Faschisten wählen. Alles nix Neues. Die Stärke der Rechten war schon immer die Schwäche der Linken.
Über die Situation in Großbritannien kann man ganz ähnliches sagen. Die Dynamik, die dabei eine Rolle spielt, hat Laurie Penny ziemlich schön in Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution. beschrieben: Männer, zumal weisse, denen kulturell vermittelt wird, dass sie zu den Siegern, zu den Privilegierten gehören, stellen fest, dass das nicht mehr so ist. Dass ihnen die Felle davon schwimmen, dass die Welt ihnen nicht gehört – sondern nur ihren reichen Brüdern. Dass das eine enorme Kränkung ist, hat Penny verstanden und sehr exakt analysiert. Es ist diese Kränkung der gesellschaftlichen Deklassierung, die sie rechts wählen lässt, weil sie sich von diesen Parteien die Re-etablierung eines Status erhoffen, von dem sie denken/fühlen, dass er ihnen zusteht. Und das ist ja auch das Programm der Rechten – bis zu einem bestimmten Punkt, denn tatsächlich kümmern sich auch diese mehr um reiche weisse Männer als um arme.
Und Deutschland? Hier geht es vor Allem um den Osten (und andere strukturschwache Gebiete). Das besondere an der ostdeutschen Situation ist, dass die oben beschrieben Kränkung auf Grund der Kolonisierung der ehemaligen DDR durch die BRD hier noch viel stärker zutrifft. Die wütenden weißen Männer des Ostens wurden kolonisiert, und zwar von ihresgleichen aus dem Westen, während ihnen gleichzeitig versprochen wurde, ab jetzt würde alles ganz toll. Doch ihre Erfahrungen, ihre kulturellen Gewohnheiten, ihre Lebenszusammenhänge wurden abgewertet und zerstört. Und diese weissen Männer waren es, anders als Frauen, PoCs oder Jüd*innen, nicht gewohnt, so abgewertet zu werden. Für sie ist diese Situation neu und es gibt auch keine Sprache dafür, kein Sprechen darüber. Schlimmer noch, da im bundesdeutschen Diskurs die Enteignung des Ostens durch den Westen nicht als solche und somit als Unrecht anerkannt wird, und fortwährend über eine Priveligierung weißer Männer im Allgemeinen gesprochen wird ohne auf diese inner-weiß-männlich-deutsche Geschichte einzugehen, bricht sich diese Ohnmachts-erfahrung Bahn in Hass. Eine labile Identität fühlt sich von allem bedroht. Im Rahmen des Migrationssommers wurde über die Stabilität der bairischen Identität gesprochen, die die Hilfsbereitschaft und Gelassenheit der Baiern im Umgang mit der Migrationsbewegung miterklärte (und man sollte die Äußerungen bairischer CSU-Politiker nicht mit der Stimmung unter den Leuten verwechseln! Die Stimmung war und ist tatsächlich weitgehend eine andere als die Politik, die sich selbst von der AfD treiben lässt, kolportiert).
HEIM@T
Baier*innen, egal wie verlacht vom Rest der Republik, sind gerne Baier*innen. Dass Bayern nicht so schlecht sein kann, wird ihnen auch von den Tausenden »preisischen Zu’zognen« bestätigt. Mit einem solchen Ego kann man in Sachsen und Brandenburg nicht aufwarten. Hier ist die Identität durch die Wiedervereinigungskolonisierung zerstört. Neben der wirtschaftlichen gibt es eine soziale Misere. Niemand zieht hierhin, weil es so schön ist, Italien so nah, die Seen so blau und die Biergärten so gemütlich. Vielmehr ziehen alle weg, die Städte sind leer, die Jugend hat keine Zukunft, die DDR ist diskreditiert, man darf nicht mal darüber sprechen, dass vielleicht nicht alles schlecht war am realexistierenden Sozialismus. Diese Leute sind gekränkt und gedemütigt worden, ihre Erfahrungen wurden ihnen abgesprochen und gleichzeitig wurden sie noch mit Hohn überzogen (allen voran: Titanic) für ihr angebliches Hinterwäldlertum. Mit ihnen hat kaum wer gesprochen, über sie wurde um so mehr gelacht. Gefragt wurde erst, als sie anfingen, eine laut brüllende hässliche Fratze zu zeigen. (Vor diesem Hintergrund halte ich es für eine weitere ausgesprochene linke Dummheit, den Begriff »Heimat« zu nazifizieren, wie es Ebermann und co machen. Man schießt sich damit selbst ins aus und wird unfähig, manche Dynamiken überhaupt zu begreifen vor lauter ideologischer Verblendung. Als bekennende Baierin kann ich sagen: Heimat kann was ganz tolles sein und lässt sich mit Linksradikalismus exzellent vereinbaren. Fragt mal bairische Genossinnen.)
Es ist noch kein Nazi vom Himmel gefallen.
Zurück zu unseren verächtlich so genannten Wutbürgern: diese Erfahrungen sind natürlich kein Grund, Nazi zu werden. Wenn man aber eingesteht, dass Kolonialismus und Klassismus keine Bildungseinrichtungen sind, sondern Unterdrückungsregime, weiß man auch, dass diskriminierte nicht automatisch klug sind. Im Prinzip könnten ostdeutsche, französische und britische (und andere) Männer (und Frauen) ja verstehen, dass der Feind nicht »Europa«, »Flüchtlinge« oder »Genderwahn« heißt, sondern Kapitalismus oder meinetwegen Billionäre, die Regierung oder Großkonzerne, die unser aller Lebensgrundlagen vernichten. Dass also Ossis und Geflüchtete gemeinsame Sache machen müssten, da es die gleichen Organisationen und Individuen sind, die in Sachsen, Bangladesh (oder Nordengland) Landstriche verwüsten und Leute in Lohnsklaverei unter beschissenen Bedingungen drücken – ob nun in einer von Einsturz bedrohten Näherei, im Amazonlager oder bei Uber. Dass sie also begreifen, dass der Angriff ein Klassenkrieg von oben ist, dem man von unten etwas entgegensetzen muss. Doch schon vor 150 Jahren haben die Verdammten der Erde ihr Los nicht unbedingt als geteiltes erkannt. Die Klasse muss sich erst selbst erkennen (wo war das noch bei Marx?). Hier kommt die Geschlechtlichkeit erschwerend hinzu, denn heterosexuelle weiße Cis-Männer stellen fest, dass ihr Platz nun nicht mehr automatisch über allen anderen ist, sondern neben und zwischen ihnen. Aua. Damit haben sie keine Erfahrung und drüber reden haben sie auch nicht gelernt. Es tut weh, aber der Zugang zur Trauer ist emotional und kulturell versperrt. (Welche Verheerungen es anrichtet, wenn man etwas nicht betrauern kann, weil es moralisch als verwerflich gilt, haben die Mitscherlichs in »Die Unfähigkeit zu trauern« über die Nachkriegsdeutschen beschrieben, die den Verlust ihres Führers nicht betrauern »durften«, was psychodynamisch gesellschaftlich eher nachteilig war.) Und so ergehen sich die deklassierten Männer in blinder Zerstörungswut, in der Hoffnung, sich so ihren angestammten Platz wiederholen zu können. Das das ein verlorener Posten sein könnte, ahnen sie, und umso schlimmer wird die Wut.
Diese toxische Männlichkeit findet man im Übrigen auch bei den Faschos anderer Couleur, wie den Islamisten oder den türkischen Erdogan-fans. Traditionelle Männlichkeit und Männer fühlen sich von allen Seiten bedroht und schlagen aus. Diese hysterischen Macht-Männer überall sind doch geradezu auffällig. Sie würden lieber die Welt in den Abgrund stürzen, als ihre Macht abgeben. Die großen wie die kleinen.
Was ich nicht begreife, ist, warum das nicht verhandelt wird. Warum wir darüber nicht diskutieren. Es ist so viel einfacher, z.B. Ossi-bashing zu betreiben und sich selbst in seinem Gutmenschentum zu bestätigen, indem man die anderen zu unbelehrbaren Rassisten erklärt, deren Hass unverständlich und unbegründet ist. Etwas zu verstehen, heißt ja nicht, es gut zu heißen oder zu rechtfertigen. Aber etwas zu verstehen ist die Voraussetzung dafür, dass man es verändern kann. 30 Jahre Ostbashing haben nix verbessert. Da könnte man doch glatt über eine Strategieänderung nachdenken, oder?
Die Abwehr dieser die Selbstgewissheit erschütternden Erkenntnis kommt oft in Form des Ausrufs, dass Zuhören ja wohl auch nichts bringt, als Beispiel wird dann die akzeptierende Jugendarbeit mit Nazis oder die nach rechts kippende Politik im Nahmen der »Sorgen der einfachen Leute« genannt. Stimmt. Das ist beides eine ganz fatal missverstandene Umsetzung des Konzeptes »Zuhören«. Nichts lässt den Hass im Herzen der Menschen so sehr nachlassen wie das Gefühl, gehört und gesehen zu werden. Das ist aber unbedingt und genau NICHT gleichbedeutend mit dem Akzeptieren von Meinungen auf der Positionsebene. Zuhören will gelernt sein, nicht umsonst wird diesem Aspekt in Mediationsausbildungen viel Zeit gewidmet. Aktiv zuhören, empathisch zuhören, das bedeutet, den eigenen Geist leer zu machen, sich ganz auf den anderen zu konzentrieren und ihm dabei zu helfen, zu ergründen, worum es ihm wirklich geht. Erst auf der dahinterliegenden Ebene (Mediation: Phase 3, Gefühl- und Bedürfnisebene, Voraussetzung für Phase 4, die Lösungsverhandlung) tritt das zu Tage, was dann Grundlage zur Erarbeitung von nachhaltigen und echten Lösungen ist. Das ist etwas völlig anderes und sogar das Gegenteil von der Behauptung des Zuhörens, wenn man angeblich umsetzt was aggressiv auftretende Demonstrant*innen vermeintlich wollen.
Ganz zum Schluss noch eine Sache zum Thema Wahl: seit wann sind 20% eine Mehrheit? Fällt irgendwem auf, dass seit geraumer Zeit kaum eine Wahl noch zu einer wirklichen Mehrheit einer Partei gegenüber einer anderen führt? Als die CSU noch 65% holte, konnte man von echter Mehrheit sprechen (auch wenn 65% der Wähler*innen bei einer Wahlbeteiligung von sagen wir 70% der Wahlberechtigten de facto eine Minderheit der Gesamt-bevölkerung sind). Doch wenn 20% jemanden wählen, dann haben immerhin 80% denjenigen NICHT gewählt und das ist doch eine recht deutliche Mehrheit! (Die Wahlbeteiligung mal bei Seite gelassen).