Fundstück: eine Übung in Differenzierung und Empathie
Fundstück: eine Übung in Differenzierung und Empathie

Fundstück: eine Übung in Differenzierung und Empathie

Auf der Veranstaltung der Hedonistischen Internationale in Berlin wurde ich gefragt, wie man denn der zunehmend erodierenden Gesprächskultur begegnen könnte. Darauf gibt es viele Antworten, aber wenn man zwei zentrale Punkte herausarbeiten wollte, wäre es vielleicht Empathie und Differenzierung. Sprich, versuchen, sich einzufühlen, aus welcher Perspektive, mit welchem Background, aus welchen Beweggründen jemanden spricht; und, die Komplexität der Realität in Rechnung stellen, in der wahrscheinlich weder die eigene Ansicht, noch die der anderen Person die einzigen möglichen Sichtweisen sind; dass es da wahrscheinlich noch mehr Ebenene gibt und man das ganze ein paar mal um die eigene Achse drehen und noch mehr Facetten erkennen kann.

Und dann habe ich diesen Sticker hier gefunden. Ich möchte an ihm gerne eine Übung in Differenzierung und Empathie vollziehen.

Zunächst einmal regt sich Zustimmung. Aber ich merke sofort eine kleine Dissonanz. Nein, denke ich so einfach kann man es sich nicht machen. Was mir aufstößt, ist das Labeln eine Person als Arschloch. Da meldet sich sofort die Abolitionistin in mir, die strikt gegen eine Identifizierung von Menschen mit einzelnen ihrer Eigenschaften, Seiten oder Taten ist. Ob Mörder:in, Dieb:in Vergewaltiger:in oder Arschloch, man reduziert niemanden so. Es ist entmenschlichend, stigmatisierend und polarisierend. Es steht Veränderung im Weg. Und dann meldet sich die linksradikale Theorietante in mir und sagt: ja, und mit »Arschloch« hat man ja auch gleich mal gar nichts erklärt. Es ist eine Absage an den Versuch, Gesellschaft und ihre Machtstrukturen und Dynamiken zu verstehen; es ist ein Rückschritt hinter Erkenntnisse der Psychoanalyse und der Sozialpsychologie. Man macht es sich viel zu leicht, stellt sich quasi auf die Seite der »Guten«, die mit reinem Gewissen auf die »Bösen« zeigen.
Ok, jetzt weiß ich, warum dieser Sticker in mir Dissonanzen erzeugt.

Als nächstes möchte ich aber überlegen: warum hat jemand den gemacht und ihn vielleicht verklebt? Welche Nachricht beinhaltet er? Ich erkenne, es ist eine Kritik an der Verharmlosung von Diskriminierung homosexueller Menschen. Und tatsächlich ist der Begriff Homophobie ja auch irreführend, er steht in einer Reihe mit Klaustrophobie und Arachnophobie (Angst vor Menschenmengen, Angst vor Spinnen) zum Beispiel, und Homophobe meiden ja nicht einfach homosexuelle Menschen wie Klaustrophobiker:innen Menschenmengen und Arachnophobiker:innen Spinnen. Nein, da gibt es einen aktiven Hass. Und dieser Hass kommt in dem Wort Homophobie nicht zum Ausdruck. Es ist also eine berechtigte und nachvollziehbare Kritik.
Sie ist aber ihrerseits irreführend, weil im Hass auf Homosexuelle eben doch auch eine Phobie steckt. Eine Angst vor der Entmännlichung und Analpenetration, es wird real als Bedrohung wahrgenommen. Insofern überdeckt die einfache Titulierung als »Arschloch« das komplexe Phänomen Homophobie und seine Wurzeln in patriarchaler Männlichkeit, sowie den projektiven Vorgängen: Angst vor dem, was man sich heimlich wünscht, Angst vor der Auflösung einer Ordnung, was die psychische Struktur als gefährlich erlebt, Angst vor Befreiung letzlich. Da der aktive Hass, der sich daraus speist, aber in dem Wort Homophobie nicht ausgedrückt wird, wäre es vielleicht mindestens sinnvoller, diesen zu bennenen, indem man »Hass auf Homosexuelle« oder ähnliches sagt. Eine bessere Wortschöpfung, die sich in Begriffe wie Sexismus, Rassismus und Antisemitismus einreihen kann, wäre sicherlich sinnvoll.

Insofern, don’t fight the player, fight the game. Hass und Herrschaft bekämpfen anstatt Menschen als Arschlöcher abstempeln.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert