Film ohne Plan
Film ohne Plan

Film ohne Plan

Die Serie »A better place – Stadt ohne Knast« (ARD) scheitert am Versuch, ein restoratives Projekt darzustellen. Ich habe das bereits in meinem letzten Beitrag angesprochen, hier nun die versprochenen Details.

Zunächst: Restorative Project Design ist zwar vielleicht keine eigene Fachrichtung, es ist aber etwas, das in Fachkreisen sehr viel diskutiert wird. Handbücher werden geschrieben und nicht nur die Planung, sondern auch die Ausführung wissenschaftlich begleitet und ausgewertet, damit man aus Fehlern lernen kann. Erkenntnisse werden dann in Best Practice papern weitergegeben. So geschehen zum Beispiel bei der Implementierung von Gemeinschaftskreisen in Wiener Gemeindebauten, bei Angehörigen-Inhaftierten-Dialogen in der Schweiz, bei Support-und Accountability-Circles in Kanada und so weiter. Es gibt meines Wissens nach keine Stadt, die in letzter Zeit ihr Gefängnis geschlossen hätte, um zu versuchen, in einem wissenschaftlich konzipierten und begleiteten Projekt die Gefangenen in die Stadtgemeinschaft zu integrieren. Es wäre aber sehr spannend, so etwas einmal zu probieren. Und sehr mutig! Was es gibt, sind Restorative Cities, also Städte, die sich eines restorativen Umgang mit Konflikten in Schulen, Sozialfürsorge, Verwaltung etc. verpflichten. Kurz, es gibt schon eine Menge Erfahrung mit so Großprojekten.

Die Serie »A Better Place« ist an und für sich eine coole Initiative, Gefängnisabolitionismus konkret darzustellen, und es wäre so schön gewesen, hätten die Filmemacher:innen vernünftig recherchiert und die verschiedenen Aspekte so eines Restorative Justice Unterfangens fachlich richtiger dargestellt. Denn was sich trotz aller Vorsicht und Sorgsamkeit für Probleme ergeben, das wäre wirklich spannend im Detail filmisch zu erforschen. (Und so wie ich Filmgespräche mit Redaktionen kenne, wäre vermutlich auch einiges gegen die oft so ordinären Ideen mancher Redakteur:innen durchzusetzen gewesen. Aber das ist eine andere Geschichte).

Nun zu den Details dessen, was im Film absolut falsch läuft.

  1. Vorbereitung (darauf werden wir noch oft zu sprechen kommen, denn Vorbereitung ist bei allen Schritten und allen Phasen eines RJ-Projektes das A und O). Man lässt nicht einfach Leute aus dem Knast raus, man bereitet sie vor. Dafür braucht es Vorgespräche mit deren Angehörigen/Umfeld: nicht alle freuen sich einfach, dass da jemand plötzlich wieder da ist. Auch sie müssen vorbereitet und miteinbezogen werden und für jeden Fall braucht es ein individuelles Setting. Manche können nach Hause, andere nicht. Das gleiche gilt für die Betroffenenen der Handlung(en), für die die Inhaftierten einsitzen. Sie müssen einbezogen, mitgenommen und vorbereitet werden, und jedes ihrer Bedenken, ihre Widerstände müssen ernstgenommen und berücksichtigt werden. Da braucht es dann auch wieder individuelle Settings. In mindestens 2 schweren Fällen ist das im Film nicht passiert.
  2. Vorbereitung braucht auch die Stadtbevölkerung. Es muss transparent und ehrlich kommuniziert werden und jedes schwierige Detail ist ernstzunehmen. Vermeidung hilft hier nicht, jedes Versäumnis fliegt einem später um die Ohren (tut’s auch im FIlm). Im Film finden die Leute plötzlich heraus, dass auch ein Sexualstraftäter entlassen wurde, was zu einer Panik führt. Außerdem werden manche der Haftentlassenen bei Bürger:innen untergebracht – ohne dass diese sich vorher kennengelernt hätten, und ohne dass dies auch in deren Umfeld geklärt wird. Das rächt sich später, als die Stimmung kippt und ein „Host“ aus Angst vor seinen Nachbar:innen dem Freigelassenen das Zimmer kündigt.
  3. Nach all der Vorbereitung kann es natürlich trotzdem zu Spannungen und Schwierigkeiten kommen. Wie im Film kann es Betroffene geben, die man nicht erreicht hat, und die sich plötzlich melden – und erstmal dagegen sind, weil sie mit ihrer schmerzhaften Geschichte konfrontiert werden, weil sie die Freilassung als mangelnde Gerechtigkeit erleben, weil sie Angst vor der tatverantwortlichen Person haben. Es ist absolut essenziell, dass diese Menschen, wenn sie dann auftauchen, egal mit wieviel Zorn, Wut oder Widerstand, mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln aufgefangen, ernstgenommen und einbezogen werden. Wer Schutz braucht, muss diesen bekommen – wie das gehen kann, muss man sich VORHER überlegen, für den Fall, dass so etwas passiert.
  4. Überhaupt: Notfallpläne. Die muss man vorher haben. Was, wenn Betroffene das Projekt nicht mehr unterstützen? Was wenn Teile der Bevölkerung Widerstand organisieren? Was, wenn die Unterstützung aus der Politik wegbricht? Was, wenn Freigelassene mit der Freiheit nicht klarkommen? Was, wenn sie rückfällig werden?
  5. Was die Inhaftierten angeht, gibt es zB. das bewährte Konzept der »Circles of Support and Accountability«, die in Kanada zur Begleitung haftentlassener Sexualstraftäter entwickelt wurden. Dabei geht es darum, der Person die Intregration in die Gemeinschaft/Gesellschaft zu erleichtern und sie gleichzeitig eng zu begleiten und zu monitoren, damit das Rückfallrisiko so gering wie möglich gehalten wird. Es gibt keinen Grund, das nicht auch für andere zu organisieren, um ein Gelingen zu unterstützen.
  6. Opfer-Täter:innen-Dialoge I. Ja, es kann sinnvoll und hilfreich sein, Gespräche zwischen Betroffenen und Tatverantwortlichen zu organisieren, sofern diese dies möchten (und das kann sich unterwegs ändern, in beide Richtungen!). Dafür braucht es vor allem mal wieder: genau, Vorbereitung! Vorgespräche mit den einzelnen, in denen ihnen erklärt wird, wie das abläuft, was auf sie zukommt, und in denen auch abgefragt wird, was sie brauchen und sich erhoffen. Erst wenn die Mediator:innen den Eindruck haben, dass beide dafür bereit sind, und beide zustimmen, kommt es zu einem gemeinsamen Gespräch, welches nach klaren Regeln abläuft – und nicht irgendwie zwischen Tür und Angel wie im Film.
  7. Opfer-Täter:innen-Dialoge II. Auch das Verfahren, Betroffene und Verantwortliche einer Deliktsart aber nicht des gleichen Falls miteinander ins Gespräch zu bringen, um ggf Fragen zu beantworten oder zu verstehen, ist ein bewährtes Mittel, das vor Allem Betroffenen helfen kann, nagende Fragen loszuwerden und durch das Erzählen der eigenen Geschichte gegenüber anderen Tatverantworlichen eine Form von Gerechtigkeit zu empfinden. Auch diese Methode bedarf, ihr ahnt es, vor Allem viel Vorbereitung. Im Film werden da einfach zwei Leute aufeinander losgelassen, die vor Allem nicht einmal mit der gleichen Deliktsart verbunden sind (die Frau hat ihren Sohn durch einen Mord verloren, der Mann hat aus Versehen eine Fußgängerin überfahren), und so konstatiert die Betroffene auch richtigerweise: »Uns verbindet nichts!« und findet, das sie ein weiteres Mal ihre Zeit und Energie in einem sinnlosen Projekt vergeudet hat (was umso fataler ist, als sie sich ohnehin schon ständig hintergangen und verarscht fühlt, was aber im Film niemanden ernsthaft zu stören scheint). Sorgfalt ist im Kontext von Restorative Justice Verfahren jeglicher Art wirklich allererstes Pflicht, und diese wird im Film ständig verletzt.
  8. Der Umgang untereinander. Restorative Systeme können nicht funktionieren, wenn diejenigen, die sie ausführen, nicht auch untereinander einen restorativen Umgang pflegen und diese Haltung verkörpern. Das ist im Film nicht der Fall. Die zweifelnde Mediatorin wird nicht gehört, die Wissenschaftlerin wischt Einwände beiseite, der Bürgermeister gibt vor Allem Pressekonferenzen. Beide halten es für eine gute Idee, den Bürger:innenprotest nicht ernstzunehmen. Je stärker es kriselt im Projekt, desto schärfer wird der Ton untereinander. Das ist kein nachhaltiges restoratives System. Da ist die Schwachstelle ja schon intern eingebaut.

Das sind nur neun Punkte, wahrscheinlich könnte ich noch viele mehr aufzählen. Zu oft saß ich kopfschüttelnd vor dem Monitor und dachte nur: nein! so macht man das nicht! Nein, so geht das nicht! Nein, das wird nicht funktionieren! Es ist einfach so ärgerlich.

Vielleicht nehmen Drehbuch, Regie und Redatkion die Kritik ja ernst und geben sich für den Fall, dass es eine zweite Staffel geben soll, etwas mehr Mühe.

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