Vor ein paar Wochen fand in Köln ein Tattoo-Circus statt, das ist eine Art Festivalformat zu Gunsten von straf-abolitionistischer Arbeit, bei dem Tätowierer:innen ihr Honorar spenden. Drumherum gibt es Musik- und Veranstaltungsprogramm. Ich habe dort an einem Podium zum Thema „wie umgehen mit problematischen Situationen in linken Kontexten“ (so vage wie breit ungefähr das Thema) teilgenommen. Konkret ging es um zwei Vorkomnisse – das auf gefälschten Beweisen basierende IL-Outing vor 3 Jahren und ein massiver Betrugs- und Manipulationsfall in einer abolitionistischen Gruppe in Köln. Man könnte zu beiden Kontexten noch viel mehr sagen, als wir im Rahmen der Veranstaltung angerissen hatten, aber darum geht es mir heute gar nicht. Es geht mir um eine Beobachtung, die ich schockierend und vielsagend und gleichzeitig symptomatisch finde:
Mehrmals wurde in Redebeiträgen gesagt, dies oder jenes habe man sich nicht getraut zu tun oder hätte man nicht tun können, weil man sonst „von der Szene gelyncht (sic!)“ oder „gekreuzigt“ (sic!) worden wäre. Und das wurde einfach so hingenommen, das schienen alle für normal zu halten, dass das ja so ist, dass Fehler, kritische Entscheidungen oder ambivalente Vorgehensweisen mit vernichtender – ja genau! – Kritik geahndet werden. Dass nennt sich dann Callout und der gleichen. Es scheinen alle normal zu finden, dass man sich gewissermaßen nur noch anschreit und niederbrüllt, dass man Kritik mit massiven Sanktonen paaren muss, dass man nicht kritisch nachfragt, miteinander ins Gespräch kommt, versucht auch zu verstehen und gemeinsam weiterzukommen, sondern dass man abbügelt, nierdermacht, runterputzt.
Hallo? Wo habt ihr das gelernt? Was ist denn da los?
Ich finde das sehr schmerzhaft und traurig. Es verhindert gemeinsamen Fortschritt, es verhindert Experimente, es macht Leute kaputt und die Bewegung schwächer und nicht stärker. Angst scheint das Miteinander in der sogenannten Szene zu regieren, und das fällt noch nicht mal mehr auf. Bitte, das ist nicht normal, das ist nicht akzeptabel, das ist nicht hilfreich. Angst macht unkreativ, unehrlich und wirkt sich negativ auf das Nervensystem, das Immunsystem und das Verdauungssytem aus. Angst ist eh schon das, womit diese Gesellschaft terroriert wird, um sie regierbar zu machen. Lasst uns das nicht auch noch reproduzieren.
Können wir drüber reden, wie wir ein angstfreieres Miteinander etablieren können?
Wie wir Kritik formulieren und empathisch und differenziert bleiben?
Wie wir bei Machtspielchen nicht mitmachen?
Wir wir mit Freude füreinander da sind, und wie schön es sein kann, abzugeben, zurückzustehen, Kritik zu empfangen? Was für ein Geschenk das sein kann, und wie man sich dabei entspannen kann?
Damit das nächste Mal gar nicht erst eskaliert.
(Ihr könnt mich gerne für Workshops, Beratung etc kontaktieren. Siehe Kontaktformular)