Archiv für den Autor: Rehzi

Haters gonna hate

Aber ich halt’s mal mit Madonna:
»Bad publicity is better than no publicity.«

Danke für den traffic, Kim.

Quote of the day

Buchbeitrag

Wer hätte es gedacht, dass ich einmal einen Beitrag zu einem Routledge-Sammelband schreiben würde? Ich freue mich sehr, dass »Restorative Justice at a Crossroads. Dilemmas of Institutionalisation«, kuratiert von den wunderbaren Giuseppe Maglione, Ian D. Marder & Brunilda Pali endlich herausgekommen ist.

Zusammen mit Christoph Willms, seines Zeichens Leiter des Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich in Köln, habe ich darin den Beitrag »The ‘deadly embrace’ of restorative justice in Germany« verfasst.

Reflexionen

Neulich stieß ich auf jemanden, der mich in seinen Publikationen und Vorträgen ziemlich kritisiert. Diese Person ist damit sicherlich nicht alleine, es ist ja normal und erwartbar, dass Leute etwas auszusetzen haben, wenn man wie ich in so einem halböffentlichen Raum agiert, noch dazu zu einem so sensiblen Thema wie Gewalt und schwerzhafte Konflikte. Ich muss sagen, dass ich kein Internetjunkie bin und mich auch nicht für irgendwelche Szenebattles interessiere. Ich suche also nicht danach, herauszufinden, wer jetzt gerade wo über mich lästert. Eigentlich hoffe ich, dass Leute, die Zweifel haben an meiner Arbeit, zunächst den Dialog suchen. Dem ist nicht so. Es hat sich noch nie jemand gemeldet, um zu kritisieren oder seine Interpretation meines Standpunktes abzugleichen. Ich finde das wirklich schade und auch null verwunderlich.

Es wundert mich nicht, weil es leider zur Kultur in der „Szene“ gehört, weniger umeinander zu ringen und sich miteinander auseinander-zu-setzen und sich mehr im Internet, In Publikationen oder auf Veranstaltungen zu battlen, um zu zeigen, wer geiler ist, wer den längsten hat, wer es noch besser weiß als alle anderen. Ich bin davon wahrscheinlich auch nicht frei, obwohl ich es immer mehr genieße, in Zusammenhängen unterwegs zu sein, wo das viel weniger kultiviert wird. Es wundert mich also nicht, auf Grund der Konfliktkultur der Szene.

Und es wundert mich nicht, weil ich den EIndruck habe, einschüchternd zu wirken, auch wenn ich das gar nicht will. Ich habe mir wohl eine recht starke Sprechposition erarbeitet, um mich (gegen laute Männer) durchzusetzen, und das steht mir jetzt im Weg, um Leuten Mut zu machen, sich mit ihrer Kritik, ihren Zweifeln oder ihrem Unbehagen an mich zu wenden. Und oft bin ich auch wirklich sauer, zum Beispiel wenn eine bundesweite Organisation wie die IL nach etlichen Plenums-schlaufen und trotz massiver Kritik und Zweifeln ein Outing vornimmt, dessen Basis sich bald als frei erfunden herausstellt und sich diese Organisation dann noch nicht einmal zu ihren Fehlern bekennt und den Dialog mit den Geschädigten sucht. Für mich ist es schon was anderes, ob eine Einzelperson oder eine Organisation etwas vergeigt, und dann nehme ich auch kein Blatt mehr vor den Mund. Wobei man natürlich sagen könnte, dass auch hier ein empathischerer Ton angebrachter wäre. Ich wünschte, das würde mir leichter fallen.

Was mich aber tatsächlich immer wieder umtreibt, ist die Frage, ob ich Betroffenen gerecht werde, ich fühle mich manchmal so, als wäre ich durch den Kontakt mit Tatverantwortlichen „kontaminiert“. Schließlich wird mir auch vorgehalten, ich würde von Betroffenen Verständnis für ihre Täter:innen verlangen, und ich würde Tatverantwortliche zu sanft anfassen. Ich habe mich das die letzten Tage viel gefragt, ob das so ist. Und warum ich und die Leute, die mich kritisieren, das so anders sehen. Ich kann ja nicht ausschließen, dass ich einen blinden Fleck habe.

Bis jetzt sehe ich zumindest, dass ich andere Grundannahmen habe. Während es in linken und feministischen Theorien von Täter:innenschaft sehr viel darum geht, dass Menschen etwas tun, um zu dominieren, Macht zu haben und Herrschaft auszuüben, sehe ich zumindest im interpersonellen Raum (ich habe durchaus eine Herrschaftskritik!) viele andere Motive am Werk.

Gemäß der Analysen der Gewaltfreien Kommunikation und der Transaktionsanalyse (unter anderen) gehe ich davon aus, dass Menschen handeln, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen, d.h. es geht ihnen um sich selbst. Dabei können sie aus verschiedenen Gründen (die wiederum nicht notwendigerweise im Individuum verankert sind – Bourdieu weist auf die Strukturen und die Situationen hin, die Handlungen hervorbringen, und das war auch in der Antipsychatriebewegung eine wichtige Erfahrung) ungünstige, tragische, gewaltvolle etc Strategien wählen, welche dann andere verletzen. Das bedeutet, dass die Verletzung des Anderen nicht ihr Ziel ist, sondern die Erfüllung ihres Bedürfnisses. Der (oder die) andere kommt dabei nicht vor, sondern ist nur Vehikel. Das ist schlimm genug, bedeutet aber in der Konsequenz etwas ganz anderes, als wenn ich davon ausgehe, dass die Person das Schädigen anderer als Ziel im Kopf hat. Ich weiß nicht, ob das verständlich ist, aber es macht einen riesigen Unterschied, ob ich dich schädige, um an mein Ziel zu gelangen, oder ob ich dich schädige, weil ich dich schädigen will, als Zweck an sich. (Solche Menschen mag es geben, sie sind aber sehr rar). Für die geschädigte Person macht das erstmal nicht so einen großen Unterschied, sie ist so oder so verletzt. In der Aufarbeitung kann das aber durchaus eine Rolle spielen, ob es um MICH ging oder um die Wunscherfüllung des anderen.

Für die Reflexion mit den Tatverantwortlichen macht das einen rieisigen Unterschied, weil es nicht darum geht, herauszufinden, warum sie denn so gerne andere schädigen/dominieren/beherrschen, sondern welche Bedürfnisse sie sich erfüllen wollen und ob es da nicht andere Strategien gibt und was es mit ihrer Sozialisierung und Herrschaftsverhältnissen zu tun hat, dass sie die (dominierende, gewaltvolle) Strategie gewählt haben, die sie gewählt haben. Der Zugang ist so herum, nach meiner Erfahrung, einfacher, weil man sich auch erstmal selbst Empathie geben kann dafür, dass man ein berechtigtes Ziel hatte (Bedürfniserfüllung), dieses aber auf eine denkbar doofe Weise versucht hat zu erreichen. Und das kann man dann betrauern. Und erst wenn dieser Prozess durch ist, ist Raum da für Empathie mit der Person, die geschädigt wurde. Kann man doof finde, ist aber halt so.

Ich finde diese Herangehensweise treffend und sie hält einem Realitätsabgleich in meiner Erfahrung stand. Ich frage mich jetzt, wie das zusammenpasst mit der Idee, dass einer sexualisierten, sexistischen oder sexuellen Gewalttat verantwortliche Männer Gewalt ausüben, um zu dominieren, um zu beherrschen, um die andere Person unten zu halten. Ich würde sagen: es handelt sich um extrem tragische Stratien zu Erfüllung der Bedürfnisse Geltung, Wertschätzung, Einfluss, Liebe, Bestätigung etc pp. Aber eigentlich geht es nicht um die andere Person, sondern um das Füllen ihres eigenen großen schwarzen Lochs. Dieses Loch ist anerzogen, ist Teil von patriarchaler Männlichkeit, und es ist ihre Aufgabe, das zu verstehen und zu verändern. Nach allem, was ich weiß, geht das nur, indem man lernt, sich selbst zu lieben und zu wertschätzen. Das wiederum erscheint mir maximal verbaut durch das Patriarchat, und ideologische Vorwürfe oder Statements wie „Feminismus muss weh tun“ finde ich hier nicht hilfreich. Im Gegenteil, diese Herangehensweise erscheint mir eher wie eine Art Selbst-geißelung, als dass es Menschen ermutigt, zu sich zu finden, sich selbst besser zu spüren und respektvolle Wege des Miteinanders zu finden, eingedenk der eigenen Position im vergeschlechtlichten Herrschaftssystem. (Das heißt jetzt wieder nicht, dass Betroffene nicht ihre Wut ausdrücken dürfen, auch wenn das für die tatverantwortliche Person schhwer auszuhalten ist. Das gehört vielmehr dazu. Mir geht es um die bereits durch politische Analyse abstrahierte Position von politischen Akteur:innen oder der Community/Szene )

Neulich meinte ein weiß-europäischer cis-männlicher Freund zu mir, er sehe perspektivisch nur Selbstmord als Weg, denn er würde ja allen anderen bei ihrer Befreiung im Weg stehen. Ich halte das für einen katastrophalen Schluss aus dieser Art, die Sache anzugehen: wenn die Befreiung der einen nur durch die (Selbst-)Vernichtung der anderen möglich ist, geht etwas sehr gründlich daneben. Und ich merke auch, dass mich seine Unterwürfigkeit im Umgang ziemlich nervt. Es ist ja nett, nachzufragen und sensibel zu sein, aber man kann es auch übertreiben. Ich habe da nicht mehr den Eindruck, eines Gegenüber, sondern eines „Unter“, und das interessiert mich überhaupt nicht. Andererseits kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es verlockend ist, das Dominierungsangebot, das er macht, anzunehmen. Ich fühle mich aber sehr unwohl damit. Was aber, wenn ich eine kleinere, schüchternere oder zurückhaltendere Person wäre? Wäre das dann wohltuend für mich? Würde ich mich dann endlich auf Augenhöhe fühlen? Wäre ich dann in der Lage, meine Grenzen besser zu kommunizieren?

Vielleicht verstehe ich auch etwas nicht in dieser „Dominanz-als-Motiv“ Analyse und es entgeht mir ein ganz entscheidender Teil. In den Auseinandersetzungen, die ich diesbezüglich bisher hatte, hat mich nichts überzeugt. Was nicht heißt, dass es da nicht doch etwas gibt, das ich nicht verstanden habe.

Das andere ist die Frage der Betroffenen. Ich nehme sie ernst. Ich nehme sie beim Wort. Ich respektiere ihre Grenzen (ich versuche es, neulich ist mir da ein blöder Fehler passiert, ich hab die Message nicht gecheckt, autsch) und mute und traue ihnen Selbstbestimmung zu, weil ich überzeugt davon bin, dass sie am allerbesten wissen, was sie wollen und brauchen. Das scheint oft aber verwirrend zu sein, weil es nicht vorgegebenen ideologischen Mustern folgt. Es kommt mir dann so vor, als sei ich nicht solidarisch oder empathisch genug. Wenn mir vorgehalten wird, ich würde von Betroffenen „Verständnis für ihre Täter:innen“ verlangen, hört sich das total falsch und schlimm an, und so verstanden ist es das auch. Es wäre übergriffig und reviktimisierend. Ich vertrete das auch nicht.

Ich glaube, es gibt da ein Missverständnis. Denn was ich tue, ist, darauf hinzuweisen, dass bestimmte Strategien, die im Namen eines „Opferschutz“ eingesetzt werden, nicht zielführend sind. Zum Beispiel erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man nur bekommt, was man braucht, wenn man es sagt . Wenn jemand will, dass eine Person „Verantwortung übernimmt“, aber nicht sagt, was er_sie darunter versteht, weiß die beschuldigte Person nicht, was sie machen soll. Sie kann dann ihre Idee dessen, was Verantwortungsübernahme heißt, ins Werk setzen – das deckt sich aber nicht notwendigerweise mit den Vorstellungen der Betroffenen. Das gleiche gilt für die Tatvorwürfe. Wenn ich der beschuldigten Person nicht die Chance gebe, zu begreifen, worum es geht, stehe ich einem sinnvollen Auseinandersetzungsprozess mehr im Weg als dass ich ihn ermögliche. Kann man machen, man muss sich dann aber ehrlicherweise eingestehen, dass es einem gar nicht darum geht, dass die beschuldigte Person Aufarbeitung leistet.

Das andere ist, dass es für Betroffene und Umfeld hilfreich ist, zu verstehen, dass Auseinandersetzung und Verantwortungsübernahme Zeit brauchen, und dass die Aufarbeitungsprozesse auf beiden Seiten (Heilung einerseits und Rechenschaft andererseits) oft ungleichzeitig ablaufen. Das kann Frust hervorrufen. Das bedeutet nicht, dass Betroffene „Verständnis haben“ müssen, sondern schlicht, dass es hilft, zu verstehen, wie solche psychologischen Prozesse ablaufen, um selber besser damit umgehen zu können. Wenn ich nicht die ganze Zeit in einer falschen Erwartungshaltung sitze, geht es mir definitiv besser, weil ich weniger frustriert bin. Verstehen und Verständnis-haben sind vom Sinn her nicht das gleiche. Und wenn es schließlich irgendwann einmal darum geht, eine Person zu resozialisieren, wäre es wirklich fatal, nicht die Betroffenen zu fragen, ob, wie und unter welche Vorraussetzungen das geschehen kann. Auch da geht es wieder nicht um Verständnis oder so, sondern darum, dass Betroffene diesen Prozess gestalten können, sofern sie das wünschen. Es geht darum, ihnen Deutungshoheit und Macht zu geben. Wenn sie sich nicht äußern oder nicht dazu beitragen möchten, kann die andere Seite und die Community nur versuchen, eigene Ideen umzusetzen, und ggf. immer wieder nachfragen, wie jemand das sieht. Betroffene ernst nehmen heißt für mich aber auch, ihnen zu sagen, wenn ich etwas problematisch finde. Das ist Augenhöhe. Es nicht zu tun, wäre paternalistisch.

Andersherum ist das übrigens genauso. Opferwerdung folgt bestimmten Abläufen und Tatverantwortliche, die Reue ausdrücken, Verantwortung übernehmen, um Verzeihung bitten, Wiedergutmachung anbieten oder auch nur Rücksicht nehmen und Fragen stellen wollen, sind ebenfalls gut beraten, zu verstehen, warum jemand gerade nicht in der Lage ist, darauf einzugehen, dass das vielleicht niemals passieren wird, dass das deren gutes Recht ist und dass sie ihren eigenen Weg finden müssen. Das verhindert Frust, der das Weiterkommen blockiert. Dass ihre Tat und die Konsequenzen daraus ihr Leben vielleicht auf immer verändern wird, und sie das betrauern und akzeptieren müssen, so wie es das Leben der anderen Person auf immer verändert hat.

So oft habe ich festgestellt, dass das Verstehen von Hintergründen entlastet, auf allen Seiten. Dann kann Weichheit und (Selbst-)Empathie entstehen. Und das braucht es für alles weitere. Ich verstehe mich, glaube ich, eigentlich vor Allem als jemand, die diesen Prozess versucht in Gang zu bringen. Ich verstehe mich nicht als jemand, die Mitglieder für den Club der besseren Menschen ausbildet, sarkastisch gesagt, und ich suche nicht den kurzfristigen Erfolg. Für mich ist die Aufarbeitung schmerzhafter, gewaltvoller Geschehnisse etwas, das ein Leben lang dauern kann und wo man in einer Auseinandersetzungsspirale zyklisch immer wieder an die selben Punkte kommt (wo man immer in der gleichen Kurve kotzt, wie meine Therapeutin sagte), jedoch stets von einer neuen Warte aus. Da sagt man nicht nach 5 Monaten oder 3 Jahren: so, fertig, ist gut geworden oder ist gescheitert. Es ist auch etwas, das gar nicht von der gesamtgesellschaftlichen Situation und gesellschaftlicher Entwicklung getrennt werden kann. Sprich: das Patriarchat kann man nicht im Alleingang überwinden, leider. Das ist wahnsinnig frustrierend und enttäuschend, weil wir unter dieser ständigen (strukturellen, systemischen, situationellen und persönlichen) Gewalt leiden und so dringend wollen, dass es aufhört. Insofern betrachte ich meine Arbeit als einen winzigen Tropfen in einem Meer, und ich habe eine klare Vorstellung von ihrer absoluten Begrenztheit und ihrem Scheitern: es gibt nur ein bisschen Linderung im Hier und Jetzt zwischen einzelnen Menschen. Mehr ist für mich gar nicht zu erreichen. Und doch ist das für die Personen in dem Moment wahnsinnig viel und sehr wertvoll. Und deswegen mach ich’s trotzdem, zweifelnd, nachdenklich, ausprobierend.

Friends & Family

Es gibt mittlerweile eine Menge Leute, die wirklich gute Arbeit machen im Kontext der Bearbeitung schmerzhafter Konflikte und drumrum. Deswegen habe ich eine neue Unterseite eingerichtet, und will sie Euch hier schonmal vorstellen. Wenn ihr Beratung, Unterstützung oder Begleitung braucht, diese Leute möchte ich Euch wärmstens empfehlen. Die Liste wird hoffentlich mit der Zeit immer länger.

Aurora
Bildungsarbeit, Konfliktbegleitung, Beratung, Mediation (Berlin & darüber hinaus)

Gabriele Grunt
Mediation, Konfliktbegleitung, Gewaltfreie Kommunikation (Wien)

Daniela Hirt
Restorative Dialoge, „Täterarbeit“ (Oldenburg)

Transformative Justice Netzwerk (de)
transformative & abolitionistische Arbeit

Institut für restorative Praktiken Berlin
gegründet und geleitet von Judith Kohler

Heidrun Fiedler
Restorative Circles, Traumatherapie, Coaching

Mai Nguyen
Traumasensibles Coaching für Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben (Heidelberg)

Bliss Balls Podcast
Markus Parnow und Daniel Cremer sprechen über „Männlichkeit im Vollkontakt“. Markus ist auch als Coach für Männerarbeit tätig und buchbar! (Köln)

Zum Umgang mit Tatverantwortlichen

Vor ein paar Wochen hatte ich in der AK eine Replik auf eine reichlich substanzfreie Verleumdung geschrieben. Es ging darum, wie man mit Beschuldigten und Tatverantwortlichen umgeht.

https://www.akweb.de/bewegung/der-taeter-das-unmenschliche-wesen-transmormative-justice/

Jetzt hat ein Psychologe in der TAZ Nord sehr ähnliches in einem Interview gesagt. Es ist für mich bestärkend und bestätigend zu sehen, dass er ähnliche Erfahrungen macht und zu den gleichen Schlüssen kommt. Ich kann jede Zeile in diesem Interview unterschreiben.

https://taz.de/Sexualtherapeut-ueber-Taeter-Outing/!5966259/

Es ist wirklich an der Zeit, dass die linke und feministische Bewegung diese Erfahrungen zur Kenntnis nimmt und ihre Praxis auf grundlegenden psychologischen Erenntnissen aufbaut anstatt auf ideologischen und moralischen Argumenten.

Aber lest selbst.

»Our answers seem to reflect wether or not we are good people. And so, naturally, we want to be right – which means that everyone else must be wrong. I believe the most helpful and compassionate way to navigate this emotional and ethical maze is to soften our stance and take a step away from ideology (how we think the world should work) toward what actually works in relationships. We might think of this as a shift from a „right or wrong“ approach to a „getting along“ framework.«

Kai Cheng, I hope we chose love

Workshop zu restorativer Praxis

Samstag spätnachmittag gibt’s auf dem Scharnigeburtstag einen kleinen Workshop zu restorativer Praxis. Nur mit Anmeldung und negativem Selbsttest.

Vortrag AZ Oldenburg

Am Mittwoch, 11.10. um 19h30 bin ich im AZ Oldenburg mit einem Vortrag über Restorative Justice.

Hier der Ankündigungstext der Gruppe KAoS (Kollektiv für Aktivismus ohne Stress)
‚Restorative Justice1’ als Alternative zu einem repressivem Strafsystem
«Strafe ist nutzlos und gefährlich» sagt die französische Abolitionistin Catherine Baker und fasst damit zusammen, was Generationen von kritischen Kriminolog:innen und Psycholog:innen immer wieder argumentiert und mit Studien belegt haben. Strafe, das ist aber nicht nur was der Staat in der Justiz tut. Gestraft wird auch an Schulen und anderen Einrichtungen sowie in der Familie, im Sport und sogar im Freundeskreis. Dabei ist das psychische Brechen und Einschüchtern fester Bestandteil staatlicher Repression.
Aber wie kann man stattdessen mit unerwünschtem, abweichendem oder gefährlichem Verhalten umgehen?
Unter dem Begriff der ‚Restorative Justice‘ lassen sich verschiedene Ansätze fassen, welche aufbauend oder in Anlehnung an indigene und abolitionistische Konfliktbewältigungsstrukturen entstanden sind. Dabei ist allen gemein, dass sie versuchen einen Weg zu finden, welcher Weg geht von repressiven und drohenden Strafsystemen. Demgegenüber stellen sie verschiedene Konfliktlösungsstrukturen, welche die komplexen und zum Teil widersprüchlichen Bedürfnisse von Menschen in einem sozialen System ernst nehmen, ohne dabei die erlebte Gewalt der Betroffenen zu relativieren.
Rehzi Malzahn, Jg 79, ist ausgebildete Mediatorin, zertifizierte Mediatorin in Strafsachen (Täter-Opfer Ausgleich) und hat zwei Bücher zum Thema Strafe und Restorative Justice herausgebracht. Sie arbeitet als freie Autorin, Trainerin und Mediatorin/Konflikbegleiterin und lebt in Köln und Südfrankreich.

  1. Frei übersetzt: ‚wiederherstellende Gerechtigkeit’ ↩︎

Verantwortung übernehmen– how to not

Lasst uns nochmal über Verantwortung reden, und wie es aussieht, wenn man sie für seine Handlungen übernimmt, beziehungsweise, wie es NICHT aussieht.

Lasst uns nochmal über das Outing der IL und ihr letztes Statement sprechen, welches ein Paradebeispiel dafür ist, wie es aussieht, wenn man so tut, als würde man sich verantwortlich machen, es tatsächlich aber gar nicht tut.

Was sind die Marker?

Verantwortungsübernahme bedeutet, zu seinen Handlungen zu stehen ohne sie zu rechtfertigen, zu minimieren oder zu entschuldigen, und sich voll bewusst zu machen, wie sich diese Handlungen auf diejenigen, die davon geschädigt wurden, ausgewirkt haben. Es bedeutet, dieses Leid anzuerkennen, Reue auszudrücken und um Verzeihung zu bitten. Es bedeutet, sich für die Betroffenen verfügbar zu machen und sich zu ver-antworten, sprich, ihnen Rede und Antwort zu stehen.

Nichts davon tut die IL.

Es geht damit los, dass im ersten Absatz gesagt wird, man melde sich wieder, wenn man es für richtig halte. Das ist das Gegenteil von sich ver-antworten und verfügbar machen. Das ist mauern und abblocken, aus einer Position der Überheblichkeit heraus. Die IL hat immer noch nicht begriffen, dass sie hier nicht den Takt zu bestimmen hat.

Sie schreibt von Fehlern und von Scheitern, aber sie bleibt maximal unkonkret. Es war ihr nicht möglich, der eigenen Untersuchungsgruppe das forenische Material zur Verfügung zu stellen. Das ist nebülöses Formulieren, keine Transparenz. Es gibt kein Eingehen auf die vielen Kritikpunkte, die seit Monaten geäußert werden. Das ist nicht sich verantwortlich machen, das ist Schuldabwehrverhalten.

Dann kommen Rechtfertigungen wie „die Situation war emotional und moralisch aufgeladen“. Ja, das kann man sich vorstellen, es ist aber erst dann angebracht, über die eigenen Gründe zu reden, wenn man voll und ganz zu den Auswirkungen des eigenen Handelns gestanden hat und lückenlos aufklärt. Dem ist nicht so.

Schließlich „will und muss sie sich »entschuldigen«“. Das Wort ist denkbar schlecht gewählt. Man bittet um Entschuldigung oder Verzeihung, aber man entschuldigt sich nicht selbst. Das ist anmaßend.

Und nicht zuletzt werden auch die Kritiker:innen verunglimpft als „selbsternannt“ und „zweifelhaft motiviert“, der zivile Gerichtsprozess zum „unentschuldbaren“ Fauxpas erklärt. Hier finden wir das Schuldabwehrmotiv „Anklagen der Ankläger“. Die IL lenkt so von der Tatsache ab, dass ohne die Arbeit der Kölner Untersuchungsgruppe und der Kölner FLINTAs, die sich kritisch äußerten, einfach gar nichts aufgeklärt worde wäre; dass ohne den Gerichtsprozess und die darin notwendigen Beweise die Fälschung niemals aufgeflogen wäre, und dass man geflissentlich Fragen zu der Person, die die gefälschte Mail empfangen haben und die „Quelle“ sogar getroffen haben will, übergeht.

Zuletzt kommt man dann auf andere Sachen zu sprechen, wie etwa die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die ja das eigentliche Problem seien. Das ist wieder Ablenkung. Ein Text, in dem man Verantwortung übernimmt, ist nicht der Ort dafür. Wenn man darin über gesellschaftliche Machtverhältnisse sprechen möchte, dann in Bezug darauf, wie diese das eigene Versagen (die Tat) beeinflusst haben.

Das sind nur so ein paar Anmerkungen. Insgesamt liest sich der Text wie ein Versuch, durch eine Schein-Verantwortungsübernahme Kritiker:innen zu befrieden und gleichzeitig echte Verantwortungsübernahme zu vermeiden. Dafür müsste man sich schon „nackig“ machen, Rede und Antwort stehen, ansprechbar sein, mit jenen in Kontakt treten, die die ganze Arbeit der Aufklärung gemacht haben, Ungereimtheiten aufklären und das ganze Ausmaß der Schuld anerkennen (d.h. auch das Leid der Familie von C). Dann gäbe es noch Wiedergutmachung anzubieten und zu detaillieren, wie man künftig Ähnliches zu verhindern gilt.

So, wie der Text der IL daherkommt, empfinde ich ihn als ziemlich unglaubwürdig.

Interessant ist, dass sich im Verhalten der IL und den Dynamiken, die es auslöst, exakt das reproduziert, was üblicherweise im Kontext von Vorwürfen gegenüber Tatverantwortlichen passiert: erst leugnen, nicht ernstnehmen, nicht anerkennen, abstreiten, Gegenangriff. Wenn dann der Druck zu groß ist, versuchen, sich aus der Affaire zu ziehen. Schweigen. Je länger das Schweigen dauert, desto größer wird die Ungeduld und die Wut derjenigen, denen Fragen unter den Nägeln brennen. Zu den ursprünglichen Vorwürfen kommen jetzt sekundäre, die den Umgang mit dem Vorwürfen betreffen. Darauf wird mit weiterem Einmauern reagiert, was die Distanz und das Nicht-Verstehen vergrößert. Irgendwann äußert man sich dann, maximal ungelenk, was die andere Seite nur noch wütender macht.

Je früher man sich öffnet und Dialog zulässt, die Anliegen der „Anklagenden“ hört und darauf eingeht, somit versteht, welche Fehler man vielleicht gemacht hat und dazu steht, desto schneller klärt sich eine Angelegenheit. Das ist eine Binsenweisheit. In vielen Konflikten gibt es das Problem, dass die Anklagen auf eine Art geäußert werden, die es schwer macht, sie zu hören, weil sie stark verurteilend sind. Oft ist es allerdings auch so, dass die Anklage nicht gehört wird, solange sie „freundlich“ geäußert wird, so dass sich irgendwann der Ton verschärft, bis sich schließlich ein Konflikt verselbstständigt. Aus meiner Sicht kann man der Untersuchungsgruppen K3 nicht vorwerfen, dass der Ton von Anfang an zu scharf war. Insofern kann sich die IL darauf nicht zurückziehen.

Je länger das ganze dauert, desto mehr Fragen wirft es auf. Warum ist es bloß so schwer, in einen aufklärerischen Dialog mit der linken Bewegung zu treten? Was soll dieses Sich-Verstecken hinter den Mauern der eigenen Organisation?