Wenig verwunderlich wurde diese Frage auch auf einem internationalen Treffen eines politischen Netzwerkes gestellt und diskutiert. Das Protokoll dieser Diskussion fiel mir kürzlich in die Hände, aus Diskretionsgründen und weil es auf englisch ist, gibt es hier keine komplette Wiedergabe der immerhin fünf Seiten Text, sondern eine kurze Zusammenfassung.
Anlass der Diskussionsrunde war die Feststellung, dass in den jeweiligen Gruppen des Netzwerks der gleiche Vorgang zu beobachten ist, dass die Aktivist_innen relativ jung sind und sich Ältere stets herausziehen bzw. den Wiedereinstieg oder das Dabeibleiben / in Kontakt bleiben schwierig finden. In Bezug auf das Phänomen Alter wurde festgestellt, dass man sich stets eher alt fühlt, da man sich an das Jüngersein erinnern, sich aber nicht vorstellen kann, wie es ist älter zu sein. Man ist also für sich selbst immer am ältesten und erfahrensten zu jedem Zeitpunkt seines Lebens. Die Einfühlung nach vorne misslingt eher als die Einfühlung nach hinten, also in Jüngere. Weitere Erkenntnisse der Diskussion:
- Das Dazustoßen Jüngerer bedeutet häufig die Wiederholung von bereits durchlaufenen Diskussionen und Praxen. Das ist für Ältere und Erfahrener auf die Dauer nicht interessant, außer sie haben viel Langmut.
- Der Lebensstil unterscheidet sich, Jüngere können mehr Risiken auf Aktionen eingehen, weil sie z.B. keine Verantwortung für ein Kind haben oder Konsequenzen in ihrem Beruf fürchten müssen. Sie sind körperlich fitter und halten ein anderes Aktionsniveau aus bzw. können bis spät nachts aktiv sein, weil sie morgens nicht früh aufstehen und fit sein müssen, und wenn doch, stecken sie es noch besser weg.
- Ein Leben mit beruflichen und privaten Verpflichtungen reduziert die Zeitspanne, die für Aktivismus übrig bleibt. Umso wichtiger ist dann die Sinn- und Ernsthaftigkeit der Aktivität, da es frustrierend wird, wenn man die wenige Zeit, die man hat, in endlosen Diskussionen verplempert oder sich für eine Aktion freigenommen hat, die schlecht organisiert oder wirkungslos ist.
- Dem Wunsch Jüngerer, die Bezugsgruppe möge auch ein Freundekreis sein, kann oft nicht entsprochen werden, da man bereits viele langjährige Freundschaften aus anderen Zusammenhängen hat und die Zeit für übermäßig viel Sozialkontakt fehlt. Obendrein hat man mglw nicht die gleichen Interessen und Gesprächsthemen. Wenn die Jüngeren der Gruppe dann Freundschaften schließen, können sich die Älteren, zumal wenn sie einzelne Ältere unter vielen Jungen sind, ausgeschlossen fühlen.
- Auf Grund von mehr Erfahrung kennen sich Ältere wahrscheinlich selbst besser und können sich besser einschätzen, zudem haben sie vielleicht traumatische Dinge erlebt, die Einfluss auf ihre Reaktion haben. Psychische Gesundheit wird ein wichtigeres Thema.
- Wenn die Leute aus der gleichen Generation wegfallen und fehlen, geht damit auch eine bestimmte Kultur für die Person, die übrigbleibt, verloren: man hatte seine Art von Humor, seine Art zu diskutieren, einen gemeinsamen Erfahrungshorizont, eine ähnliche gesellschaftliche Prägung. Die Jüngeren sind „anders“. Es ist schwer, anzudocken. Manches lässt sich nicht vermitteln.
- Es gibt einen bestimmten Politisierungsprozess, den neue und junge Leute durchlaufen. Ihn sich stets wiederholen zu sehen, kann ermüden. Zunächst entdecken die Leute eine neue Welt und sind begeistert: wenn nur alle Menschen so leben und denken würden! Die Euphorie führt zu viel Aktivität, der Mangel an Erfahrung bringt jedoch mit sich, dass Debatten geführt und Postionen vertreten werden, die für die Älteren altbekannt und durchgekaut sind. Nach einer Weile stellen die Neuen fest, dass die Welt sich nicht so schnell ändert und dass sie selbst Teil des Problems sind. Welches Problem das gerade ist, unterliegt wellenförmigen Modebewegungen. Es geht nun hauptsächlich darum, anderen Aktivist_innen dieses Problem klarzumachen und man wendet sich weniger nach außen. In stark nach außen orientierten Organisierungen verlassen die Leute die Gruppe. Wenn das nicht passiert, ist die nächste Bruchstelle das Ende des Studiums und der Beginn eines Berufslebens mit mehr Kontakt zu „normalen“ Leuten. In der „normalen“ Welt sind häufig all diese hochwichtigen Themen und Diskussionen irrelevant und z.T. nicht einmal vermittelbar, also erscheint das Engagement sinnlos und hinfällig. Schließlich kann man die Welt nicht ändern, wenn man nicht einmal mit den Leuten außerhalb des Milieus reden kann. Zu diesem Frust gesellen sich veränderte Bedürfnisse in Bezug auf den Lebensstil, so dass Leute aussteigen. Wer übrigbleibt, ist bald mit der nächsten und übernächsten Welle dieses Prozesses bei den Nachkommenden konfrontiert, so dass die stete Wiederholung zum Frustfaktor wird, sowie die Erkenntnis, dass es so viele Formen von Herrschaft gibt und wir es niemals schaffen werden, herrschaftsfrei zu sein. Wenn man dann dabei bleibt, wird man abgeklärter und geht mehr auf Distanz zu diesen Vorgängen.
- Daraus ergibt sich die Frage, wie Ältere ihre Erfahrung einbringen können, ohne paternalistisch zu sein. Jüngere brauchen den Raum, um sich auszuprobieren, aber Ältere brauchen auch Kontakt auf Augenhöhe und den Eindruck, partizipieren und sich einbringen zu können.
Wie kann man also Offenheit für die Verschiedenheit der Menschen in Bezug auf Generation schaffen?
- Eine organisierte Form von zweiter Reihe: nicht mehr an allen Treffen teilnehmen, aber Protokoll lesen, dran bleiben und zu bestimmten Treffen und Aktionen auftauchen. Die Offenheit dafür muss von der Gruppe gewollt und geschaffen werden.
- Möglicherweise können Leute durch feste Bezugspersonen in der Gruppe auf dem Laufenden gehalten und an die Gruppe gebunden werden.
- Ältere müssen ihren Stil und ihre Position finden, das „so mache ich es und das ist auch ok so“. Das heißt vielleicht, nicht mehr zu Treffen zu gehen, auf denen man nichts beitragen kann oder will, und dies auch offen so zu sagen.
- Sich die Frage stellen, was einem am politischen Engagement wichtig ist, warum man es macht, und sich auf das konzentrieren, wo diese Punkte erfüllt werden, so ist es weniger frustrierend.
- Erfahrung hilft, aber nicht immer. Manchmal steht sie auch im Weg und es ist besser den Mund zu halten und in Kontakt zu bleiben.
- Schwierigkeiten, die das Generationenthema betreffen (wie alle Schwierigkeiten) lieber offensiv thematisieren als sich stillschweigend verabschieden.
- Im Beruf verantwortliche und Vollzeitstellen vermeiden – das erweitert die Möglichkeiten für Aktivismus: mehr Zeit, mehr Energie.
Schlussendlich braucht es einfach auch einen guten Schuss Hingabe. Es hilft, sich daran zu erinnern, warum man dabei ist, und sich auf die positiven Aspekte zu fokussieren. Denn es lohnt sich für alle, wenn Ältere dabei bleiben.