Kategorie-Archiv: Fundstücke

WERBUNG: Camp gegen Repression bei Köln

Hier noch einmal ein Veranstaltungshinweis, der nichts mit mir, aber etwas mit unserem Thema zu tun hat:

Es gibt im September (11.-15.) ein transnationales Camp für praktische Solidarität und gegen Repression, & Knast in Köln-Leichlingen.

Hoffen wir, dass die Idee einer Kritik der Strafe im Allgemeinen auch vorkommt.

solidarity1803

Am ist Ende ist man wohl gezwungen, Vertrauen in die Community zu haben…

Rezension in der »IZ3W«

Schön, dass die neue IZ3W sich unter dem Titel »Weggesperrt. Gefängnisse und Strafsysteme.« mit dem Thema auseinandersetzt. Passiert immer noch viel zu selten. Und noch schöner, dass das Buch dort rezensiert wurde.

Ein bisschen weniger schön, dass es den Autoren Timo Weiß nur halb überzeugt hat. Vertrauen statt Angst und Kontrolle, das macht ihm immer noch: Angst. Insofern geht sein Kommentar leider auch in weiten Teilen am Kern der Fragestellung des Buches und am Kernanliegen (Selbstbestimmung und gemeinsame Verantwortung statt Fremdbestimmung & Herrschaft) vorbei. Es ist eben schwer begreifbar, dass es für das Abschaffen von Strafe mehr bedarf, als ein paar Rezepte und Tricks aus irgendeiner linken Mottenkiste. Da geht es um einen inneren und kulturellen Wandel, um einen Paradigmenwechsel. Den kann man anstoßen und auf wichtige Apsekte und Dynamiken hinweisen, ihn mit Theorie und Kritik begleiten, ihm Verfahrensweisen und Hilfestellungen auf den Weg geben. Der Rest ist echte Praxis.

Manchmal wundere ich mich darüber, wie Leute an Sachen vorbeilesen. Oder geht es darum, der kritischste Kritiker zu sein und zu zeigen, dass man auf jeden Fall noch einen Punkt gefunden hat, über den man meckern kann? *Seufzersmiley*

Dabeibleiben im 16. Jahrhundert

Buchrezension

»Meine Brüder, sie haben uns nicht besiegt. Wir sind noch frei, das Meer zu durchpflügen.«

Diesen Satz spricht der Protagonist am Schluss zu sich selbst, als er sich aufmacht, eine weiteres, letztes Mal zu fliehen, nach einer weiteren, vernichtenden Niederlage. Er hat sein Leben damit zugebracht, gegen die Herren im Gewand der Fürsten, der katholischen Inquisition und der lutherischen Verräter zu kämpfen, auf der Seite der aufständischen Bauern um Thomas Münzer, auf der Seite der frühkommunistischen Wiedertäufer in Münster und den Niederlanden, auf der Seite der Huren und Juden in Venedig. Wir wissen, wie die Geschichte ausgeht: die katholische Kirche gibt es immer noch, die Lutheraner haben sich als Evangelische Kirche institutionalisiert, von den europäischen Jüd_innen wäre fast nichts übrig geblieben und von den radikaldemokratischen, kommunistischen Bestrebungen dieses blutigen 16. Jahrhunderts bleibt uns nur eine Erinnerung. Hätten sie damals gewonnen, wäre uns der Kapitalismus vielleicht erspart geblieben, mutmaßt die italienische Theoretikerin Silvia Federici in »Caliban und die Hexe«. Angesichts dessen stimmt das Vorangehen von Niederlage zu Niederlage des Anti-helden aus »Q« umso deprimierender.

Der Protagonist selber verzagt nicht, hat aber einige seelische und körperliche Narben davongetragen. Man fragt sich, woher er den Mut nimmt, und auch den Langmut. Wirklich einer, der trotz des unaufhaltsamen Fortschreitens der Reaktion, trotz der sich abzeichenden Siege der Feinde der Emanzipation, dabei bleibt, immer wieder die Lücken und Widersprüche, die Risse und Gelegenheiten sucht. Die Situation erinnert an das, was man heutzutage in den Nachrichten vorfindet. Die katholische Inquisition heißt heute Überwachungsstaat, Erdogan, Trump, Duterte, Big Data, McKinsey und IWF (beliebig fortsetzbar). Zum Teil sind es die gleichen Mittel wie damals, zum Teil andere. Alle gleichen sie sich darin, brutale Schlächter jeglicher Emanzpationsbestrebung zu sein – mit dem entscheidenden Unterschied, dass ihnen heute die Auslöschung der ganzen Welt gelingen könnte. Damals haben sie »nur« ein paar Indigene, Hexen und Häretiker (und dadurch viele Welten) ausgerottet.

Genau deswegen ist das Buch so aktuell. In finsteren Zeiten nicht die Hoffnung und die Handlungsfähigkeit verlieren. Ich frage mich aber ernsthaft, ob ich einen Kampf wie den des anonymen Militanten von »Q« (und seiner GefährtInnen) durchstehen würde. Ich fürchte nein. Vielleicht geht es aber auch nur darum, weiterzumachen und zu sagen: »Sie haben uns nicht besiegt. Wir sind noch frei, das Meer zu durchpflügen.«

Luther Blisset: Q. 799 Seiten, Piper 2002.

(Natürlich geht es noch um ganz andere Dinge in dem Buch: um eine wahnsinnig penibel recherchierte Geschichte der Bauern- und Reformationskriege aus der Sicht der Unterdrückten und Revolutionäre (hier sind die Sozialdemokrat_innen die Lutheraner_innen), um den Gegenspieler Q, der Spion der Inquisition ist und um die Veränderung der Welt im Zeichen des Welthandels und des beginnenden Kapitalismus.)

Zeit der Monster

Der passende Kommentar zu meinem Beitrag unten und zur Zeit, in der wir leben, aus einer Zeit, die mit dieser hier erschreckende Parallelen aufweist:

„Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster.“

Antonio Gramsci
über die Epoche, die mit dem Ersten Weltkrieg begann.

Links sein, eine schöne Zusammenfassung.

HIER  hat Georg Seeßlen schön auf den Punkt gebracht, was es mit dem Links-sein auf sich hat.

Vier Ebenen: Gefühl, Denken, Erfahrung und Hoffnung/Utopie – sind involviert, und Kraft gewinnt eine Bewegung, wenn sie sie in sich vereint. Verzweiflung herrscht, wenn sie auseinanderbrechen und jedes einzelne Teil beginnt, zu degenerieren: zum Dogma, zur Sentimentalität, zur Raserei und zum Kitsch.

Ich kann in mir selber gut bestimmen, auf welchem der vier Wege ich zum Links-sein gekommen bin, welche dazugekommen sind und auf welcher der Ebenen bei mir welche Art von Verzweiflung herrscht. Vielleicht ein guter Anhaltspunkt für künftige Debatten über das Dabei-bleiben, mal die vier Ebenen abzufragen.

Rein in die Mühen der Ebene, rein in den Alltag, rein in die Organisierung von unten.

Danke an den Wiedereinsteiger JP aus Bremen für den Hinweis auf folgenden Text der Gruppe »Zweiter Mai«, den ich Euch wärmstens empfehle:

Kommt ihr mit in den Alltag?

Found Footage: *seufz*

mit-wurde-den-raum-verlassen

Das Zitat stammt aus dem bezaubernden Film »Shortbus«.

nochwas zu Bremen…

Dank an Iván aus Hamburg für den Hinweis auf folgende Broschüre zu einer „grundlegenden Neuausrichtung linksradikaler Politik“. Sie spricht mir sehr aus dem Herzen. Ich habe beim Lesen oft an das Interview mit Samira gedacht und ihren emphatischen Satz, dass man „nah rangehen muss an die Leute“ und sie fragen, warum sie dabei sind, was sie überhaupt wollen. Die Bremer Broschüre will mal wieder was ernstnehmen und stellt grundsätzlich die Frage, was eine revolutionäre Politik ist und wie man sich organisiert. Sie ist inspiriert von den Erfahrungen der Genoss_innen aus anderen Ländern, wo es bei Zeiten durchaus ernsthafter zuging als hier.

Während des Lesens wird einem erst bewusst, was für ein schrecklicher Hobby-ismus das meiste linke Gewurschtel so ist. Und was es heißen würde, wenn man die eigenen Sprüche wirklich selber ernstnehmen würde (was die Voraussetzung dafür ist, dass es andere tun.) Es hat mir für mich selber gezeigt, dass ich früher so drauf war: ich hab es ernstgenommen und Konsequenzen gezogen, zu denen ich heute nicht mehr bereit wäre, weil mir mangels positiver gegenteiliger Erfahrung schlicht der Glaube daran fehlt, dass es sich lohnt, dass das nochmal was werden kann. Mir ist auch wirklich die Idee abhanden gekommen, was „Revolution“ überhaupt ist. Insofern finde ich die Broschüre gut, weil sie einen auf den Hosenboden der eigenen Widersprüche setzt. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob ich die tausendste Aufwärmung der „linken Organisation“ richtig finde, die man gründen muss und die ja am Ende doch immer der Partei ähnelt. Wir brauchen neue und andre Formen der Kollaboration und des Aufeinander-sich-Beziehens. Ich weiß nicht wie das geht, und ich vermute, dass sich die Bremer_innen ihr Modell in Kurdistan abgeschaut haben. Das ist berechtigt und bestimmt nicht die verkehrteste Richtung. Zur Zeit hab ich es aber eher mit den Ideen von Ivan Illich, und das geht dann doch in eine andere Richtung. Widerstand durch Nicht-mehr-Mitmachen, Organisierung durch Konvivialität. Was das im Konkreten ist, weiß ich nicht, aber die „alte Form“ spricht mich auch im neuen Lack nicht an.

Dennoch WÄRMSTENS EMPFOHLEN. Ladet Euch das Ding runter und diskutiert drüber!

Biographie und Politisierung

Buchrezension

Regine Wagner-Preusse: Biographie und Politisierung. Was linkpsolitische Aktivisten antreibt. Tectum 2016, 228 Seiten, 24,95€

Vor ein paar Wochen machte mich Bernd Hüttner vom Gesprächskreis Geschichte der RosaLux auf das soeben erschienene Buch »Biographie und Politisierung« aufmerksam. Ich war überrascht und sehr neugierig. Es liegt wohl im Trend der Zeit, die Frage zu stellen, warum Leute sich (weiterhin) politisch engagieren. Ich vertrete ja selbst die These, dass das Weitermachen mit dem Anfangen zu tun hat. Der Titel ist vielversprechend und ich habe mir eine Ergänzung, Erweiterung, Widerlegung oder Bestätigung meiner Thesen und Schlussfolgerungen erhofft. Leider wurde ich ziemlich enttäuscht.

Nun ist es komisch, wenn man als Autorin eines Buches zu einem Thema das Buch einer anderen Autorin zum gleichen Thema bespricht, zumal wenn man nicht anders kann als es eben nicht zu loben. Es mag wie ein Diss aus narzistischen Gründen erscheinen: ich bin toller als Du, mein Buch ist besser. Das ist es nicht. Ich hatte mich gefreut und hätte sehr gerne eine Empfehlung ausgesprochen.

Warum gefällt mir das Buch nicht?

Die Autorin Regine Wagner-Preusse, über die man nichts erfährt als dass sie selbst in den Siebzigern im Umfeld von K-Gruppen aktiv war und sich von diesen entfremdet hat, weil ihr die Antworten nicht mehr genügten, bezieht sich denn auch ausschließlich auf das Milieu der autoritären Parteiszene. Andere Linke als Marxisten-Leninisten, autoritäre Kommunisten oder Sozialisten scheint es nicht zu geben. Warum sie ihre Wahl so eng trifft, erklärt sie nicht.
Die zentrale Frage des Buches lautet, warum sich nicht mehr Leute engagieren. Die Autorin arbeitet sich an den ML-Erklärungen ab, die sich auf den Satz „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ zurückziehen und konstatieren, dass die Leute eben „noch nicht so weit seien“, also das falsche Bewusstsein hätten. Wie aber kommt nun das richtige Bewusstsein in die Köpfe?
Wagner-Preusse analysiert, dass es allein die ökonomische oder Klassenlage nicht sein kann, weil ja unter den gleichen Bedingungen die einen sich wehren und die anderen nicht. Sie findet Antworten in der Psychologie und der Soziologie. Die Motivation, zu handeln, entsteht aus einer Vielzahl von Einflüssen: Familiärer Hintergrund, Vorbilder, Selbstbewusstsein, Erfolgsaussichten, ökonomische Lage, Risiko, Zugehörigkeit zu einer unterdrückten Gruppe. Für diese Erkenntnis braucht sie 230 Seiten, auf denen sie sich intensiv mit zwei Interviews beschäftigt, die sie in völlig offenem Stil anscheinend bereits vor 40 Jahren geführt hat. (Genaueres wird nicht gesagt. Das Buch ist von 2016, aber ein Interviewpartner ist zum Zeitpunkt des Gesprächs 26 Jahre alt und in den Fünfzigern geboren…) Zwischendurch werden auch mal andere Interviews erwähnt, von denen man aber nichts weiter erfährt, weder über deren Verbleib noch warum diese zwei ausgewählt wurden, intensiv präsentiert zu werden und die anderen gar nicht vorkommen. Es bleibt also vieles im Dunkeln.

Jene zwei Interviews, das eine mit einem Kader der DKP, das andere mit einem SPD(!)-Mitglied in der ländlichen Provinz, werden also ausführlich präsentiert, die Situation der Gespräche dargelegt, die Vorüberlegungen und die Gedanken der Interviewerin dargelegt. Die Autorin präsentiert ihr Sichtweise auf die Interviewten, zwischen den Zitaten stellt sie lange psychologische und soziologische Analysen über das gesagte an, was mitunter grenzüberschreitend wirkt und mich beim Lesen peinlich berührt. Wäre ich selber damit einverstanden, derart fernanalysiert zu werden, nachdem ich ein Interview gegeben habe? Wohl kaum. Ich empfinde es als unangebrachtes Eindringen in jemandes Intimsphäre. Zumal mir immer wieder eine Psychoanalyse-regel in den Kopf kam: Man analysiert niemanden, der nicht bei einem in Behandlung ist. Mit welcher Qualifikation Frau Wagner-Preusse dies tut, wird zudem nicht erwähnt (die Seite des Verlags spricht von eine Ausbildung zur Familientherapeutin und Arbeitserfahrung in der Psychatrie). Das schlimme ist aber eigentlich, dass diese ausführlichen psychologischen Untersuchungen der Aussagen eines DKP-Funktionärs und eines SPD-Mitglieds stellvertretend linke Handlungsmotive erklären sollen und dabei überhaupt keine Erkenntnisse zutage fördern! Wir wissen am Schluss, dass die Leute je nach Lebenslage unterschiedlich stark motiviert sind und dass es verschiedene Gründe für ihr Engagement gibt, die in ihrer Persönlichkeit begründet sind. Aha. Echt jetzt. Hätte man ja nie gedacht.

Dass die Motivation, sich zu engagieren, noch von anderen Dingen abhängt als der finanziellen und Klassenlage, weiß jede_r, der_die Hochs und Tiefs von Bewegungen mitgemacht hat und im eigenen Leben Phasen unterschiedlich intensiven Engagements kennt. Und dass Leute zum Beispiel weniger kämpfen, um so mehr Angst sie haben, ist auch kein großes Geheimnis.

Minimaler Erkenntnisgewinne meinerseits: meine Begründung, warum ich mich auf Linke außerhalb von Parteien- und NGO-Strukturen konzentriert habe, hat sich bestätigt. Sie ermöglichen ein Dabei-sein oder Dabei-bleiben, das nichts mit inhaltlicher Motivation zu tun hat, indem sie Leute mit Posten versorgen und durch feste, wenn nicht starre Strukturen Halt geben.

Fazit: ich weiß überhaupt nicht, was dieses Buch erklärt. Schade, dass die Chance, einen Diskussionsbeitrag zur linken Organisations- und Bewegungsdebatte zu leisten, vertan wurde

Ein Schelm, wer an linke Debatten denkt…

»Verwundbar ist jeder Mensch, besonders an den Stellen, an denen er irgendeinmal (sic) verletzt worden ist. So kommt es nur darauf an was einer daraus macht. Die Wehleidigen leiten daraus den Anspruch auf besondere Schonung ab – und das bedeutet für sie häufig das Vorrecht, jeden anzugreifen: in einer vorweggenommenen Notwehr, sagen sie. Die Welt wird immer von den Wehrufen jener betäubt, die sich anschicken, anderen zu verletzen, ihnen ihr Gesetz des Handelns aufzuzwingen, um die Erfüllung des eigenen Überanspruchs zu erzwingen. Dieses Vorgehen kennzeichnet den offenbaren oder geheimen Lebensstil vieler Neurotiker.« S.37

»Der Neurotiker, der alle seine Taten, sein Versagen und sein Leiden psychologisch auf die Vergangenheit und diese wiederum auf die Vergangenheit anderer, der Eltern vor allem, zurückführte, hoffte, solcherart eine schrankenlose Freiheit zu erringen. In der Tat vernebelte er jedoch damit seine Gegenwart. War er sich selbst ein Produkt – wie sollte er wahlfrei seine Zukunft produzieren? Die Freiheit von ist notwendig, total wäre sie jedoch nur einem Toten erreichbar, wenn ihm überhaupt etwas erreichbar wäre. Die Freiheit zu hat nur Wert, wenn sie von dem errungen wird, der die Verantwortung für sein Werden und sein Tun auf sich nimmt, statt sie bei den Eltern, den Vorfahren zu suchen und stets mühelos da zu finden; er würde sie in den Gräbern Adams und Evas aufstöbern, hätte er Zugang zu ihnen.« S.153 (Und man möchte hinzufügen: gleiches gilt für das nimmermüde Suchen im Außen der „Gesellschaft“, der man sicherlich einiges anlasten kann – bei der eigenen Verantwortung für’s eigene Leben bleibt es dennoch.)

Manes Sperber, jüdischer Kommunist und  Schüler Alfred Adlers, sowie Pionier der Individualpsychologie,
in: Die vergebliche Warnung. All das Vergangene… DTV München 1983