Kategorie-Archiv: Dabei Geblieben

Dabei Geblieben-soirée in Passau

Loungeabend mit Lesung und Schnapsverkostung.

Vorankündigung: Die notorisch lebensfrohen Baiern aus Passau haben mich eingeladen, doch noch einmal aus meinem Buch «Dabei Geblieben» zu lesen, und sich dafür eine loungige Soirée mit Schnapsverkostung im Anschluss ausgedacht.

Dienstag 05. Juni, 19h, Passau

Save the date. Genaueres folgt.

Ulrike Heider: Keine Ruhe nach dem Sturm

»50 Jahre ’68«

Vorankündigung: Ulrike Heider liest aus ihrem neu aufgelegten Buch »Keine Ruhe nach dem Sturm«, ihrer Autobiographie und umfassenden Beschreibung der Revolten von 68 ff.

Das Buch ist eine ganz besonders intime und ausführliche Beschreibung ihrer Erlebnisse in linken Kreisen in Frankfurt und New York: Hausbesetzungen, Studi-proteste, Solidaritäts-aktionen etc. Ulrike Heider beschreibt dabei detailliert und schonungslos die Degenerierung der Revolte: aus der Bewegung wird Szene, aus Solidarität Zwang, aus Befreiung egoistischer Individualismus, aus der Ablehnung der starren Formen das Bekenntnis zur Spontanität mit einhergehender Beliebig- und damit Belanglosigkeit. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen sind die Schilderungen von befreiten Momenten, von Revolte im Alltag und anders leben so irre inspirierend, scheinen sie so weit weg zu sein und wir ihrer doch so dringend zu bedürfen.

Ich werde diese Veranstaltung moderieren.

Die Idee ist, möglicherweise nach Parallelen zu Erkenntnissen aus meinem Buch «Dabei Geblieben« zu suchen.

07. Juni, Club-Bar King Georg Köln, Einlass 20h, Beginn 21h

Dabei Geblieben: Lesung in Sachsen

Feier 25 Jahre Cafè Taktlos/AJZ Glauchau

Heinrich-Heine-Str. 2
08371 Glauchau

Nochmal Lesung in Berlin

bei der A2B, Autonomen Antifa Berlin

K9/Grössenwahn
Kinzigstr. 9 (Hinterhof)
Berlin-Friedrichshain

Radiosendung in Linz

Aus der Aufzeichnung von der Lesung in Linz ist eine Radiosendung entstanden:

 https://cba.fro.at/331458

Viel Vergnügen beim Hören!

Dabeibleiben im 16. Jahrhundert

Buchrezension

»Meine Brüder, sie haben uns nicht besiegt. Wir sind noch frei, das Meer zu durchpflügen.«

Diesen Satz spricht der Protagonist am Schluss zu sich selbst, als er sich aufmacht, eine weiteres, letztes Mal zu fliehen, nach einer weiteren, vernichtenden Niederlage. Er hat sein Leben damit zugebracht, gegen die Herren im Gewand der Fürsten, der katholischen Inquisition und der lutherischen Verräter zu kämpfen, auf der Seite der aufständischen Bauern um Thomas Münzer, auf der Seite der frühkommunistischen Wiedertäufer in Münster und den Niederlanden, auf der Seite der Huren und Juden in Venedig. Wir wissen, wie die Geschichte ausgeht: die katholische Kirche gibt es immer noch, die Lutheraner haben sich als Evangelische Kirche institutionalisiert, von den europäischen Jüd_innen wäre fast nichts übrig geblieben und von den radikaldemokratischen, kommunistischen Bestrebungen dieses blutigen 16. Jahrhunderts bleibt uns nur eine Erinnerung. Hätten sie damals gewonnen, wäre uns der Kapitalismus vielleicht erspart geblieben, mutmaßt die italienische Theoretikerin Silvia Federici in »Caliban und die Hexe«. Angesichts dessen stimmt das Vorangehen von Niederlage zu Niederlage des Anti-helden aus »Q« umso deprimierender.

Der Protagonist selber verzagt nicht, hat aber einige seelische und körperliche Narben davongetragen. Man fragt sich, woher er den Mut nimmt, und auch den Langmut. Wirklich einer, der trotz des unaufhaltsamen Fortschreitens der Reaktion, trotz der sich abzeichenden Siege der Feinde der Emanzipation, dabei bleibt, immer wieder die Lücken und Widersprüche, die Risse und Gelegenheiten sucht. Die Situation erinnert an das, was man heutzutage in den Nachrichten vorfindet. Die katholische Inquisition heißt heute Überwachungsstaat, Erdogan, Trump, Duterte, Big Data, McKinsey und IWF (beliebig fortsetzbar). Zum Teil sind es die gleichen Mittel wie damals, zum Teil andere. Alle gleichen sie sich darin, brutale Schlächter jeglicher Emanzpationsbestrebung zu sein – mit dem entscheidenden Unterschied, dass ihnen heute die Auslöschung der ganzen Welt gelingen könnte. Damals haben sie »nur« ein paar Indigene, Hexen und Häretiker (und dadurch viele Welten) ausgerottet.

Genau deswegen ist das Buch so aktuell. In finsteren Zeiten nicht die Hoffnung und die Handlungsfähigkeit verlieren. Ich frage mich aber ernsthaft, ob ich einen Kampf wie den des anonymen Militanten von »Q« (und seiner GefährtInnen) durchstehen würde. Ich fürchte nein. Vielleicht geht es aber auch nur darum, weiterzumachen und zu sagen: »Sie haben uns nicht besiegt. Wir sind noch frei, das Meer zu durchpflügen.«

Luther Blisset: Q. 799 Seiten, Piper 2002.

(Natürlich geht es noch um ganz andere Dinge in dem Buch: um eine wahnsinnig penibel recherchierte Geschichte der Bauern- und Reformationskriege aus der Sicht der Unterdrückten und Revolutionäre (hier sind die Sozialdemokrat_innen die Lutheraner_innen), um den Gegenspieler Q, der Spion der Inquisition ist und um die Veränderung der Welt im Zeichen des Welthandels und des beginnenden Kapitalismus.)

Dabei Geblieben in Hannover II

Zum zweiten Mal in Hannover, diesmal in „Glocksee“ und auf Einladung der „Wohnwelt Wunstorf“.

 

Poster für Lesungen

Ab jetzt können alle Lesungsveranstalter_innen Plakate beim Verlag bestellen

streifen-plakat-malzahn

Links sein, eine schöne Zusammenfassung.

HIER  hat Georg Seeßlen schön auf den Punkt gebracht, was es mit dem Links-sein auf sich hat.

Vier Ebenen: Gefühl, Denken, Erfahrung und Hoffnung/Utopie – sind involviert, und Kraft gewinnt eine Bewegung, wenn sie sie in sich vereint. Verzweiflung herrscht, wenn sie auseinanderbrechen und jedes einzelne Teil beginnt, zu degenerieren: zum Dogma, zur Sentimentalität, zur Raserei und zum Kitsch.

Ich kann in mir selber gut bestimmen, auf welchem der vier Wege ich zum Links-sein gekommen bin, welche dazugekommen sind und auf welcher der Ebenen bei mir welche Art von Verzweiflung herrscht. Vielleicht ein guter Anhaltspunkt für künftige Debatten über das Dabei-bleiben, mal die vier Ebenen abzufragen.

Am I too old for this?

Wenig verwunderlich wurde diese Frage auch auf einem internationalen Treffen eines politischen Netzwerkes gestellt und diskutiert. Das Protokoll dieser Diskussion fiel mir kürzlich in die Hände, aus Diskretionsgründen und weil es auf englisch ist, gibt es hier keine komplette Wiedergabe der immerhin fünf Seiten Text, sondern eine kurze Zusammenfassung.

Anlass der Diskussionsrunde war die Feststellung, dass in den jeweiligen Gruppen des Netzwerks der gleiche Vorgang zu beobachten ist, dass die Aktivist_innen relativ jung sind und sich Ältere stets herausziehen bzw. den Wiedereinstieg oder das Dabeibleiben / in Kontakt bleiben schwierig finden. In Bezug auf das Phänomen Alter wurde festgestellt, dass man sich stets eher alt fühlt, da man sich an das Jüngersein erinnern, sich aber nicht vorstellen kann, wie es ist älter zu sein. Man ist also für sich selbst immer am ältesten und erfahrensten zu jedem Zeitpunkt seines Lebens. Die Einfühlung nach vorne misslingt eher als die Einfühlung nach hinten, also in Jüngere. Weitere Erkenntnisse der Diskussion:

  1. Das Dazustoßen Jüngerer bedeutet häufig die Wiederholung von bereits durchlaufenen Diskussionen und Praxen. Das ist für Ältere und Erfahrener auf die Dauer nicht interessant, außer sie haben viel Langmut.
  2. Der Lebensstil unterscheidet sich, Jüngere können mehr Risiken auf Aktionen eingehen, weil sie z.B. keine Verantwortung für ein Kind haben oder Konsequenzen in ihrem Beruf fürchten müssen. Sie sind körperlich fitter und halten ein anderes Aktionsniveau aus bzw. können bis spät nachts aktiv sein, weil sie morgens nicht früh aufstehen und fit sein müssen, und wenn doch, stecken sie es noch besser weg.
  3. Ein Leben mit beruflichen und privaten Verpflichtungen reduziert die Zeitspanne, die für Aktivismus übrig bleibt. Umso wichtiger ist dann die Sinn- und Ernsthaftigkeit der Aktivität, da es frustrierend wird, wenn man die wenige Zeit, die man hat, in endlosen Diskussionen verplempert oder sich für eine Aktion freigenommen hat, die schlecht organisiert oder wirkungslos ist.
  4. Dem Wunsch Jüngerer, die Bezugsgruppe möge auch ein Freundekreis sein, kann oft nicht entsprochen werden, da man bereits viele langjährige Freundschaften aus anderen Zusammenhängen hat und die Zeit für übermäßig viel Sozialkontakt fehlt. Obendrein hat man mglw nicht die gleichen Interessen und Gesprächsthemen. Wenn die Jüngeren der Gruppe dann Freundschaften schließen, können sich die Älteren, zumal wenn sie einzelne Ältere unter vielen Jungen sind, ausgeschlossen fühlen.
  5. Auf Grund von mehr Erfahrung kennen sich Ältere wahrscheinlich selbst besser und können sich besser einschätzen, zudem haben sie vielleicht traumatische Dinge erlebt, die Einfluss auf ihre Reaktion haben. Psychische Gesundheit wird ein wichtigeres Thema.
  6. Wenn die Leute aus der gleichen Generation wegfallen und fehlen, geht damit auch eine bestimmte Kultur für die Person, die übrigbleibt, verloren: man hatte seine Art von Humor, seine Art zu diskutieren, einen gemeinsamen Erfahrungshorizont, eine ähnliche gesellschaftliche Prägung. Die Jüngeren sind „anders“. Es ist schwer, anzudocken. Manches lässt sich nicht vermitteln.
  7. Es gibt einen bestimmten Politisierungsprozess, den neue und junge Leute durchlaufen. Ihn sich stets wiederholen zu sehen, kann ermüden. Zunächst entdecken die Leute eine neue Welt und sind begeistert: wenn nur alle Menschen so leben und denken würden! Die Euphorie führt zu viel Aktivität, der Mangel an Erfahrung bringt jedoch mit sich, dass Debatten geführt und Postionen vertreten werden, die für die Älteren altbekannt und durchgekaut sind. Nach einer Weile stellen die Neuen fest, dass die Welt sich nicht so schnell ändert und dass sie selbst Teil des Problems sind. Welches Problem das gerade ist, unterliegt wellenförmigen Modebewegungen. Es geht nun hauptsächlich darum, anderen Aktivist_innen dieses Problem klarzumachen und man wendet sich weniger nach außen. In stark nach außen orientierten Organisierungen verlassen die Leute die Gruppe. Wenn das nicht passiert, ist die nächste Bruchstelle das Ende des Studiums und der Beginn eines Berufslebens mit mehr Kontakt zu „normalen“ Leuten. In der „normalen“ Welt sind häufig all diese hochwichtigen Themen und Diskussionen irrelevant und z.T. nicht einmal vermittelbar, also erscheint das Engagement sinnlos und hinfällig. Schließlich kann man die Welt nicht ändern, wenn man nicht einmal mit den Leuten außerhalb des Milieus reden kann. Zu diesem Frust gesellen sich veränderte Bedürfnisse in Bezug auf den Lebensstil, so dass Leute aussteigen. Wer übrigbleibt, ist bald mit der nächsten und übernächsten Welle dieses Prozesses bei den Nachkommenden konfrontiert, so dass die stete Wiederholung zum Frustfaktor wird, sowie die Erkenntnis, dass es so viele Formen von Herrschaft gibt und wir es niemals schaffen werden, herrschaftsfrei zu sein. Wenn man dann dabei bleibt, wird man abgeklärter und geht mehr auf Distanz zu diesen Vorgängen.
  8. Daraus ergibt sich die Frage, wie Ältere ihre Erfahrung einbringen können, ohne paternalistisch zu sein. Jüngere brauchen den Raum, um sich auszuprobieren, aber Ältere brauchen auch Kontakt auf Augenhöhe und den Eindruck, partizipieren und sich einbringen zu können.

Wie kann man also Offenheit für die Verschiedenheit der Menschen in Bezug auf Generation schaffen?

  1. Eine organisierte Form von zweiter Reihe: nicht mehr an allen Treffen teilnehmen, aber Protokoll lesen, dran bleiben und zu bestimmten Treffen und Aktionen auftauchen. Die Offenheit dafür muss von der Gruppe gewollt und geschaffen werden.
  2. Möglicherweise können Leute durch feste Bezugspersonen in der Gruppe auf dem Laufenden gehalten und an die Gruppe gebunden werden.
  3. Ältere müssen ihren Stil und ihre Position finden, das „so mache ich es und das ist auch ok so“. Das heißt vielleicht, nicht mehr zu Treffen zu gehen, auf denen man nichts beitragen kann oder will, und dies auch offen so zu sagen.
  4. Sich die Frage stellen, was einem am politischen Engagement wichtig ist, warum man es macht, und sich auf das konzentrieren, wo diese Punkte erfüllt werden, so ist es weniger frustrierend.
  5. Erfahrung hilft, aber nicht immer. Manchmal steht sie auch im Weg und es ist besser den Mund zu halten und in Kontakt zu bleiben.
  6. Schwierigkeiten, die das Generationenthema betreffen (wie alle Schwierigkeiten) lieber offensiv thematisieren als sich stillschweigend verabschieden.
  7. Im Beruf verantwortliche und Vollzeitstellen vermeiden – das erweitert die Möglichkeiten für Aktivismus: mehr Zeit, mehr Energie.

Schlussendlich braucht es einfach auch einen guten Schuss Hingabe. Es hilft, sich daran zu erinnern, warum man dabei ist, und sich auf die positiven Aspekte zu fokussieren. Denn es lohnt sich für alle, wenn Ältere dabei bleiben.